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Am Neujahrstag fuhr ich mit Constri und Denise zur Autobahnbaustelle im Südwesten von BS. Es war kalt, aber es lag kein Schnee. Wir wanderten über den gefrorenen Boden der Trasse zu den bereits fertiggestellten Autobahnbrücken und machten dort Foto- und Filmaufnahmen.

Morgens hatte ich mir in einem Traum das bei mir beliebteste Kaugummi als Kirschkaugummi gewünscht und es auch gefunden; es schmeckte mir sehr gut.

Nun stellte ich fest, daß es ab dem heutigen Tage dieses Kaugummi tatsächlich als Kirschkaugummi gab, als Sonder-Export auf einer Tankstelle. Es schmeckt mir wirklich sehr gut. Gerade dieses Kirschkaugummi sollte sich später zu einer der beliebtesten Sorten entwickeln.
Die Fotos, die ich auf den Autobahnbrücken und in deren Umgebung gemacht habe, bildeten die Grundlage für die Fotoserie "Neujahr - Straßen im Winter". Außerdem wurde eines dieser Bilder zur Illustration der Kurzgeschichte "Blindflug".
Berenice hat auf ihrer Homepage die Mitteilung über ihr Ausscheiden bei W.E inzwischen ergänzt:

Wirklich gerührt hat mich die Tatsache, so viele Geschenke (wie z. B. die DVD über Sorayas Leben) und täglich mehrere E-Mail-Nachrichten erhalten zu haben. Auch auf diesem Wege noch mal ein liebes Dankeschön für all die Zukunftswünsche und die Bestürzung über mein Ausscheiden. Damit habe ich nicht gerechnet. Danke.
Hier nur einige wenige Zitate: "Dass es für die Band nichts ändert, ist nicht meine Meinung", "Du warst immer wie ein gutherziger Engel im Hintergrund", "Ersatz bleibt Ersatz", "Ich liebe Originale!!!!!", "Ich bin geschockt. Ob das nochmal so wird wie früher????", "W.E ohne unsere Beautyqueen am Mikro???", "Glaub an Dich! Du bist hübsch, intelligent und jemand, der die Welt verändert. Jeden Tag."

Weder auf der W.E-Homepage noch im W.E-Forum gibt es ein offizielles Statement zu Berenices Ausscheiden, die Umbesetzung wird mit keinem Wort erwähnt.
Als ich wieder als "sara-h" im W.E-Chatroom war, begegnete mir dort Rafa unter dem Namen "Honey". Außerdem erfuhr ich von den anderen Chattern den Namen des Mädchens aus Obk., das Rafa als Ersatz für Berenice verwendet. Das Mädchen heißt Tyra. Ihre Bedeutung für Rafas Privatleben ist laut Ivcos Aussage unklar. Auch Rafa selbst sagte hierzu nichts. Titan hingegen äußerte sich anerkennend über Tyra:

⟨Titan⟩ sieht gut aus

Wave stellte sich vor, wie er in einem der rosafarbenen Kleider aussehen würde, die die W.E-Bandfrauen auf der Bühne tragen:

⟨Wave⟩ *lach* Ich im Kleid, PERFEKT Ich sag dir, lass mich für ein Lied auftreten, und die Menge wird gröhlen :D
⟨Titan⟩ omg ich hab angst (rettet mich vor ihm)
⟨Elea⟩ wave, ähem, das hatten wir doch schon fast einmal ;p
⟨Elea⟩ da pass ich ja noch besser rein als du *g*
⟨sara-h⟩ rafa ist mal im kleid aufgetreten 1996
⟨sara-h⟩ sooo geil
⟨Wave⟩ Ich im Petticoat ... das wär ja mal saugeil :)
⟨Elea⟩ ^^
⟨Titan⟩ *raeusper* ja ... selbstverstaendlich :D
⟨Elea⟩ hilfe
⟨Honey⟩ wer bist du denn, dass du so was weisst, und wer ist rafa ;) ? @sara-h
⟨sara-h⟩ duu
⟨Honey⟩ und du?
⟨Wave⟩ Hab ich euch erzählt, dass ich mal im Urlaub einen Miss-Wettbewerb gewonnen habe in einem Hotel?
⟨Titan⟩ ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh
⟨sara-h⟩ ach wer ich bin willst du wissen?
⟨Titan⟩ hoer auf jetzt, Wave :D
⟨Honey⟩ ja
⟨Titan⟩ jo das will er
⟨Psi⟩ ;D
⟨Elea⟩ echt mal ^^
⟨Wave⟩ Die Urlauber hatten echt nicht gemerkt, dass ich männlich war *hehehe*
⟨Titan⟩ das sollte Dir zu denken geben
⟨Elea⟩ *g*
⟨Blizzard⟩ guten abend und ein frohes, erfolgreiches neues jahr euch allen :)
⟨Titan⟩ vor allem, man beachte das 'war' ^^
⟨Titan⟩ hallo Blizzard
⟨Elea⟩ Blizzard gleichfalls
⟨Tron⟩ bestimmt die elektrobetty hehe
⟨sara-h⟩ z zt bist du auf mich wuetend
⟨Wave⟩ Solang Elea weiss, woran sie ist ;) ist doch alles in Ordnung
⟨Elea⟩ *g*
⟨Elea⟩ naja, noch weiss ich es ;p
⟨Elea⟩ NOCH
⟨Wave⟩ Blizzard, wünsch ich dir auch :)
⟨sara-h⟩ e-betty
⟨Elea⟩ also, mach nix unanständiges*g*
⟨Titan⟩ nene
⟨sara-h⟩ sagen manche
⟨Honey⟩ hallo und vielen dank und retour @blizzard
⟨Titan⟩ geb mir muehe
⟨Tron⟩ argh ... nicht wirklich, oder ?
⟨Honey⟩ na super ; )
⟨Tron⟩ lol wir haben echte prominenz aus h. hier hehe
⟨sara-h⟩ bin durch zufall hier
⟨Wave⟩ "IHR AUS H. DÜRFT DAS DOCH GAR NICHT!"
⟨Tron⟩ jaja, das sind wir alle ...
⟨Titan⟩ :)
⟨sara-h⟩ wir schlimmen aus h.
⟨Tron⟩ naja, wenigstens hast du der tanze im plaste & elaste noch ein bisschen eingeheizt, hehe
⟨sara-h⟩ die musik war gut
⟨sara-h⟩ ihr redet und atmet
⟨sara-h⟩ und so weiter

"Ihr redet und atmet" von Shnarph! gehörte zu den Tanzflächenhits, die kurz nach Weihnachten im "Plaste & Elaste" gespielt wurden.

* Wave meint: Schenkt Frauen mehr Blumen!
* Tron meint: Frauen mit Blumen schmecken besser

Die Chatter unterhielten sich über Ersatzteile für den C64, von ihnen auch "Cevi" genannt. Wave zählte die W.E-Titel auf, die er heute schon gehört hatte. Als Titan von einem C63-Handbuch erzählte, meldete sich endlich Rafa alias "Honey" wieder:

⟨Honey⟩ auch das c63 haben will ; )
⟨Tron⟩ hehe
⟨Tron⟩ hast du eigentlich nen c65 ?
⟨Titan⟩ ja, ich mein, ja
*Tron* hat angel eigentlich ihre tango 3000 cd jemals rausgebracht jetzt? bin nicht mehr so auf dem laufenden

Rafa verließ den Chatroom, unvermittelt, ohne sich zu verabschieden.
Bezüglich der CD von Edaín alias Angel empfahl ich Tron, auf Kappas Website nachzulesen oder am kommenden Freitag im "Mute" nachzufragen.

⟨Tron⟩ ich schreib edaín mal ne mail
⟨sara-h⟩ ja, dann weisst dus genau
*Tron* deine homepage ist optisch uebrigens sehr ansprechend, so nebenbei, kaum zu glauben, dass sich jemand so viel arbeit damit macht

Tron erzählte mir, mit welchen Programmen man welche Funktionen in einem Chatroom ausführen kann. Nicht jeder Chatroom ist über den Browser erreichbar, und man hat über den Browser nicht so viele Funktionen zur Verfügung wie in einem IRC-Programm.

⟨Tron⟩ honey freut sich bestimmt, wenn er e-betty oefter hier sieht
⟨sara-h⟩ aaaachhhh????
⟨sara-h⟩ was macht dich da so sicher?
⟨Tron⟩ grins
⟨sara-h⟩ und??? was???
⟨Tron⟩ war spass, was weiss ich, jedenfalls sollst du uns willkommen sein hier
⟨sara-h⟩ schoen
⟨Tron⟩ kennst du eigentlich den pixel ?
⟨sara-h⟩ nein
⟨sara-h⟩ wer is das?
⟨Tron⟩ der muss mit 13 schon auf w.e-konzerten rumgetobt sein
⟨Tron⟩ der ist 25 und kennt die so lang wie du
⟨Tron⟩ naja, fast, wuerd ich sagen
⟨sara-h⟩ ich kenn rafa vom sehen seit 1990 und persoenlich seit jan 93
⟨Tron⟩ ja, er wohl auch so um den dreh, haett ja sein koennen, dass er dir als knirps mal ueber den weg gelaufen is
⟨sara-h⟩ kann sein, dass er mich vom sehen kennt
⟨Tron⟩ naja, wer kennt dich nicht vom sehen hehe
⟨sara-h⟩ stimmt
⟨Wave⟩ Ich ;)
⟨Wave⟩ Und ehrlich gesagt
⟨Tron⟩ naja, ok in der region hier
⟨Wave⟩ mich interessierts auch nicht *hehe*
⟨Tron⟩ im Radiostern warste auch oefters, kann das sein ?
⟨sara-h⟩ ja! bin stammgast
⟨Tron⟩ kennste das nachtstrom?
⟨sara-h⟩ wo is das nochmal?
⟨Tron⟩ hb., da fahr ich immer hin
⟨sara-h⟩ stimmt, hb.; war ich bisher noch nicht
⟨Tron⟩ krass ...
⟨Tron⟩ das ist DER club!

Tron erzählte vom "Nachtstrom" und erkundigte sich dann nach den Clubs in H. Ich erzählte:

⟨sara-h⟩ kappas crew war zeitweise etwas rueckstaendig
⟨sara-h⟩ aber die ham sich gebessert
⟨sara-h⟩ jetzt im mute am 07.01. wirds wohl sehr geil
⟨Tron⟩ bestimmt, weil wir kappa mal mit brei abgefuettert haben hehe
⟨sara-h⟩ ihr habt kappa mit brei gefuettert?
⟨Tron⟩ ja, als dj z in der neuen sachlichkeit war
⟨Tron⟩ und dann haben wir "pimmelmann" mit steve n. karaoke gesungen hehe

Das Stück "Pimmelmann" ist ein Partyhit von And One. Sänger Steve N. ist gelegentlich in den Clubs von H. zu Gast oder DJ.

⟨sara-h⟩ wie, seid ihr da mit brei zu kappa ans pult gekommen?
⟨Tron⟩ hab ich sogar ein video von
⟨sara-h⟩ oh das moecht ich sehn
⟨Titan⟩ :D
⟨Tron⟩ ist ganz einfach, wir sind da mit brei hoch, haben ihm ein laetzchen umgebunden und gut war
⟨sara-h⟩ geil
⟨Tron⟩ er war aber so besoffen, dass er dann raus musste ...
⟨Titan⟩ hihi
⟨sara-h⟩ rafa hat mal bei kappas wet t-shirt contest gewonnen
⟨Tron⟩ dabei war der brei mit viel liebe zubereitet ;)
⟨sara-h⟩ milupa?
⟨Tron⟩ glaub ja hehe
⟨sara-h⟩ milupa ist lecker
⟨Tron⟩ angel meinte mal im chat, dass kappa gerne brei ist, wenns nachner sauftour dem magen nicht mehr gut geht, so kams dazu
⟨sara-h⟩ coole idee
⟨Tron⟩ die neue sachlichkeit war witzig irgendwie
⟨sara-h⟩ ja
⟨Tron⟩ oder wir haben uns selbstgebastelte vip ausweise gemacht und sind dann einfach rein hehe

Tron lud mir das Video von Kappas Breimahlzeit auf einer URL hoch. Ich erkundigte mich, ob Tron eine Homepage hat. Er hat Webspace, aber keine Internetpräsenz im eigentlichen Sinne.

⟨Tron⟩ hast du angel so mal gesehen wieder? ich seit 1,5 jahren nicht, bin kaum noch in h
⟨Tron⟩ falls du sie siehst, gruess mal
⟨sara-h⟩ ich hab sie gesehn am 27.12.
⟨Tron⟩ da war ich doch auch, hab nur kappa gesehen
⟨sara-h⟩ sie war da
⟨Tron⟩ hmmm seltsam
⟨sara-h⟩ ich gruess sie am 07.01.
⟨sara-h⟩ bist du nie im mute?
⟨sara-h⟩ weil, am 07.01. ist da voll party
⟨Tron⟩ h. deprimiert mich irgendwie, die laeden sind zu klein, irgendwie erdrueckend
⟨sara-h⟩ das mute ist doch gross
⟨Tron⟩ axo ich dachte jetzt vorne im mute
⟨sara-h⟩ im grossen saal ist da voll party
⟨Tron⟩ muss mal sehen, wies mit meiner arbeit passt
⟨Tron⟩ naja voll party ist relativ hehe
⟨sara-h⟩ am 07.01. treten dive und xotox auf, und es gibt viel musik zum tanzen
⟨Tron⟩ hoerst du eigentlich auch minimal oder nur ebm?
⟨sara-h⟩ viel verschiedenes elektronisches und sogar noch anderes
⟨sara-h⟩ auch techno
⟨Tron⟩ hehe
⟨Wave⟩ LOL
⟨Wave⟩ geiles Thema
⟨sara-h⟩ und industrial
⟨Wave⟩ Techno
⟨Tron⟩ ich hoer minimal und noise am liebsten

Wir unterhielten uns über musikalische Vorlieben von Whitehouse bis ascii.disko, von Wire bis Human League, von DJ Tiësto bis Asche und Morgenstern. Zwischendurch versuchte ich, das Video herunterzuladen, das Tron mir online gestellt hatte. Zeitgleich lud Tron mir einige Retro-Minimal-Tracks hoch. Er erzählte, daß er sich erst seit dem Besuch eines W.E-Konzerts in GS. im Jahre 1999 für Musik begeistert und daher noch nicht so viel Musik kennt.

⟨Tron⟩ "14 zero zero" von console ist dir ein begriff?
⟨sara-h⟩ ja!! mag ich sehr
*Tron* hehe das hast du dann mit berenice gemeinsam
*Tron* hast du es als live version???
⟨sara-h⟩ ach? sonst hab ich mit der aber wohl eher nichts gemeinsam
⟨sara-h⟩ leider hab ich console noch nicht
⟨Tron⟩ console ist soooooooooo geil
⟨sara-h⟩ ja
⟨Tron⟩ im video spielen sie das lied richtig schoen mit rauschen und so live!!
⟨Tron⟩ die gehen voll ab

Tron erzählte von den W.E-Stücken, in denen ein Sprachsynthesizer den Gesangspart übernimmt.

⟨sara-h⟩ in "schneemann" hat rafa, glaub ich, auch eine computerstimme verwendet
⟨Tron⟩ ja klar, die kann aber nicht singen
⟨sara-h⟩ nur sprechen
⟨Tron⟩ ich hab das gleiche programm
⟨sara-h⟩ cool
⟨Tron⟩ naja oder man jagt es durch nen vocoder
⟨sara-h⟩ ach, so dass man die tonhoehe verstellen kann?
⟨Tron⟩ rafas mobilboxansage ist ja auch damit mal gewesen und meine auch
⟨Tron⟩ ja
⟨sara-h⟩ aha

Zu einem der Tracks, die Tron mir hochlud, merkte er an:

⟨Tron⟩ hab ich mal gemacht als geburtstagslied fuer eine gute freundin
⟨sara-h⟩ schoen
⟨Tron⟩ machst du musik?
⟨sara-h⟩ nein, ich mach viel kunst, aber nur grade das nicht bisher
⟨sara-h⟩ mein schwager macht musik
⟨sara-h⟩ missratener sohn nennt er sich
⟨Tron⟩ hehe
⟨sara-h⟩ ist industrial
⟨Tron⟩ aber tanzen kannst du!
⟨sara-h⟩ ja, ich tanz seeehr gern
⟨Tron⟩ kein 0815
⟨sara-h⟩ das waer toedlich, wenn ichs nicht mehr koennte
⟨Tron⟩ man sieht es dir an
⟨sara-h⟩ ich hab irgendwie einen stil erfunden
⟨Tron⟩ das find ich gut, wenn man sieht, dass es den leuten gefaellt
⟨sara-h⟩ oder so
⟨sara-h⟩ manche laestern
⟨sara-h⟩ aber die meisten wohl nicht
⟨Titan⟩ (wird immer leuz geben, die laestern)
⟨Tron⟩ wollt grade sagen, aber das ist h., glaub ich
⟨Titan⟩ (das is versteckter neid)
⟨sara-h⟩ ja!!
⟨Tron⟩ hb. ist da ruhiger
⟨sara-h⟩ ist neid
⟨sara-h⟩ aber kann ich ignorieren
⟨Tron⟩ du scheinst alles um dich herum zu vergessen, wenn du tanzt
⟨sara-h⟩ das ist wie im maerchen von den roten schuhen
⟨Titan⟩ neid is ja immerhin eine der hoechsten formen von anerkennung, wenn man es so nimmt
⟨sara-h⟩ ja
⟨sara-h⟩ wenn die richtige musik laeuft, muss ich tanzen
⟨Tron⟩ hehe seh ich aehnlich

Tron erzählte, daß er von Rafa ein Laufwerk für einen C64 geschenkt bekommen hat und mittlerweile 20 C64 besitzt.

⟨sara-h⟩ bekannte von mir hatten 1984 einen c64
⟨Tron⟩ ich bin erst durch honey wieder zu gekommen, der steckt die leute teilweise richtig an damit hihi
⟨sara-h⟩ ja, denke ich auch

Das Video von Kappas Breimahlzeit ließ sich auf meinem Rechner nicht abspielen, es hatte kein geeignetes Format. Die Musikstücke hingegen ließen sich abspielen.
Tron erkundigte sich nach Tessa:

⟨Tron⟩ gibt es die, die ganz zu anfang damals bei w.e mitsang, eigentlich noch?
⟨Tron⟩ also tessa
⟨sara-h⟩ die soll ziemlich auf drogen in den technosumpf gegangen sein
⟨sara-h⟩ die war schon immer labil
⟨sara-h⟩ ihre mutter hatte wohl ein bordell, und sie arbeitete nicht
⟨Tron⟩ echt? krass
⟨Tron⟩ naja es gab interessante songs
⟨sara-h⟩ mich wollte sie im elizium die treppe runterschmeissen
⟨Tron⟩ krass
⟨sara-h⟩ na ja, singen konnt sie nicht
⟨sara-h⟩ zinnia kann singen
⟨sara-h⟩ die ist auf eine musicalschule
⟨Tron⟩ stimmt! mir gefaellt das wenige von tessa, aber ein kumpel meint, ich steh eh nur auf frauenstimmen, die daneben liegen
⟨sara-h⟩ na ja, das ist subjektiv, wie kunst immer
⟨sara-h⟩ tessa und zinnia unterscheiden sich wie tag und nacht
⟨sara-h⟩ in jeder hinsicht
⟨Titan⟩ hast Du noch kontakt?
⟨sara-h⟩ zu zinnia nicht, ich hab nur gehoert, dass sie musical studiert. tessa war mit rafa 9 x zusammen von 1993 bis 1995
⟨sara-h⟩ und verließ auch 9 x die band
⟨Tron⟩ ja ...
⟨Titan⟩ aehnliches kann Phillip Boa auch berichten ^^
⟨Titan⟩ jaja band und beziehung
⟨sara-h⟩ hat der auch immer die frauen ausgestauscht?
⟨Titan⟩ ne aber seine band waere nach der 1000sten trennung von Pia Lund den bach runter gegangen

Tron erzählte, Berenice habe schon Angebote von zwei Bands erhalten, die sie als Sängerin wollen. Welche Bands das sind, habe sie ihm noch nicht gemailt.
Tron und ich unterhielten uns über die Leute in der Clubszene von H., die wir beide kennen, und über die Leute in Rafas Umfeld.
In einer E-Mail erkundigte sich Tron, ob ich ältere Aufnahmen von W.E habe. Bei Rafa hatte er keinen Erfolg mit seinen Nachfragen gehabt:

Wenn man mit den Leuten ueber die alten Zeiten spricht, ruecken sie nichts raus, scheinbar ists ihnen peinlich, aber ich find gerade alte, rohe Sachen, die noch nicht so rund und poppig klingen, am besten ...

Im Hinblick auf W.E konnte ich mich Trons Meinung anschließen. Und ich konnte ihm weiterhelfen:

Ja, ich hätt da was ... Rafa hat 1993 ein paar ziemlich schrille Songs gebastelt, darunter auch das "Elizium-Lied", dessen Refrain geht so:

Haare hoch, weißes Gesicht,
Alternativen gibt es nicht.
Intrigen, Lügen, Liebe und Haß,
das ist unser Samstagabend-Spaß!


Ivco hat mir das auf Kassette gegeben, ich hab die Stücke dann auf CD gebrannt, es handelt sich um vielleicht 10 Stücke oder so, die kann ich dir auch brennen. Ivco weiß die Namen der Titel nicht, und als ich ihn gefragt habe, ob er Rafa danach fragen kann, winkte Ivco ab:
"Oh nein, dann weiß er ja, daß ich sie auf CD habe."
Dann gibt es noch das Lied "Fritöse", das man sich auch im Internet runterladen kann. Rafa hat in "Fritöse" das Lied "Gothic Erotic" von Umbra et Imago auf die Schippe genommen. Vielleicht kennst du das ja.
"Schneemann" hast du ja schon. "Ganz in Weiß" hast du bestimmt auch. "Total normal" hast du bestimmt auch.
Von Feindsender gibt es ein Tape, das Anfang 1993 entstanden ist, und Rafa hat mir zigmal versprochen, mir eins ins "Elizium" mitzubringen, er hats aber nie gemacht. Auf der Tapehülle ist ein Bild von einer Venus-Fliegenfalle drauf, die gerade eine Fliege ißt. Ich muß Ivco mal fragen, ob er ein Exemplar davon hat.
Dann hab ich noch was, eine Aufnahme von "Auf nach Golgatha", die Rafa gemacht hat, gleich nachdem er sich das Stück ausgedacht hat. "Auf nach Golgatha" ist zwar später auf CD erschienen, diese erste Version jedoch gibt es nur auf einer Kassette, die bei mir in einer Schublade liegt.
Ja, die früheren Sachen von Rafa gefallen mir auch besser, sie wirken authentischer, nicht so fassadenhaft.
Ältere Videos von Rafa hab ich leider nicht.

Zu dem "Elizium-Lied" mailte Tron:

Das habe ich in der Tat noch nicht.
HABENWOLLEN ;)

Er konnte mir außer "Fritöse" noch mehr downloadbare Verballhornungen nennen, eine - "Dixiklo" von Lahm im Hotel, die "Bitterkeit" von L'âme immortelle auf die Schippe nimmt - hat einer seiner Kumpels fabriziert. Im Falsett fiepst er den etwas veränderten Gesangspart von Sonja Kraushofer.
Über Rafas Haltung zu seinen früheren Werken ergänzte Tron:

Hehe, ja, der Rafa ist sehr eigen, der rückt nichts raus. Rafa sind die alten Sachen wohl peinlich, als wenn man sich alte Kinderfotos angucken muss und versteht überhaupt nicht, dass sich jemand dafür interessiert ...Viele, die die Sachen haben, mussten ihm versprechen, nix rauszurücken, und viele rücken nix raus, weil sie Sachen lieber horten, als sie mit anderen zu teilen, oder sie sind einfach zu faul, die Sachen rauszusuchen ...
Wenn ich Dir was geben sollte bzw. kann, was nicht allgemein verfügbar ist, darf Rafa natürlich auch nicht wissen, von wem Du es hast bzw. ich wüsste auch nicht, welchen Grund Du haben solltest, es ihm auf die Nase zu binden.
Wenn Dir Ivco was gibt, dann find ich das echt nett, aber "Nett" scheint eh sein zweiter Vorname zu sein!!!

Tron zählte die raren älteren Editionen auf, die er von Rafa hat, und wir machten uns daran, unsere Sammlungen einander anzugleichen.
Das Tape mit der Venus-Fliegenfalle auf dem Cover, das Rafa mir vor zwölf Jahren versprochen hat, haben wir beide nicht, und wir fanden auch niemanden, der es besitzt, auch Ivco hat es nicht.
Zu der Fassadenhaftigkeit in Rafas Musik meinte Tron:

Was das "fassadenhaft" angeht, kann ich mir vorstellen, was Du damit meinst ...
Es hört sich teilweise an wie abgelesen, nicht wirklich gemeint, jedes Wort wird überbetont, ich mach das mal am Lied "Telephon W-38" fest:

EmpfangsBEREIT...
ein Satellit wird anVISIERT ...
so wunderBARRR ...


Was ich auch sehr schade finde, ist, dass die immerhin zu viert auf der Bühne stehen und bestenfalls der Gesang live ist.
In dem Zusammenhang muss man natürlich bedenken, dass Rafa bekanntlich ein Computer sein will und sein Gefühl schon lange umgebracht ist ;)

Ich mailte:

Deine Beobachtungen über den Gesang von Rafa kann ich gut nachvollziehen. Ja, so ungefähr meinte ich das mit der Fassadenhaftigkeit. Rafa scheint nicht er selbst sein zu wollen.
Ich brenn dir die frühen Stücke von Rafa, auch das "Elizium-Lied". Ich glaube, Rafa hält solche Sachen gerade wegen ihrer Authentizität unter Verschluß. Er möchte gern künstlich wirken.
Daß Rafa so wenig live macht, kann 1. daran liegen, daß er in der Band der Einzige mit musikalischem Talent ist (von Zinnia abgesehen, aber die ist ja schon lange weg), und 2. kann es daran liegen, daß er verhindern will, zu "echt" zu wirken, zu menschlich. Dabei denke ich, daß seine Fans ihm das nicht übelnehmen würden, im Gegenteil.
Ja, Rafa will ein Computer sein. Ich habe viel darüber nachgedacht, warum er sein Gefühl umbringen will. Ich denke, er will unerreichbar und unangreifbar sein. Und ich denke, daß es ihm bisher nicht gelungen ist, sein Gefühl umzubringen. Ich komme viel zu schnell dran, wenn wir uns begegnen. Deshalb sorgt Rafa wahrscheinlich auch dafür, daß wir uns nur sehr selten begegnen.
Ja, "Nett" ist in der Tat Ivcos zweiter Vorname.

Zu meiner Vermutung, daß Rafa nicht er selbst sein will, mailte Tron:

Ich koennte mir denken, das kann auch woanders dran liegen. Rafa ist ein krasser Schlagerfan und eifert da vielleicht Leuten nach, die eben nicht frei Schnauze gesungen haben. Das Endresultat ist jedenfalls, dass viele Songs ueberproduziert wirken ...

Tron erinnerte sich an die Überraschungs-Geburtstagsparty für Rafa, die im vergangenen Jahr auf Berenices Initiative bei Ivco im Partykeller stattfand. Tron als einer der ersten Gäste bekam einen sehr guten Eindruck von Ivco.
Über die nicht live dargebotenen Konzerte von Rafa meinte Tron:

Naja die daemlichen 0815 Fans fressen alles, da koennen die losen Kabel noch so rumbaumeln ;)

Über bisherige Live-Einlagen von Rafa erzählte Tron:

Einmal hab ich ihn live spielen hoeren, das war 2001 in L., da ist es mit ihm durchgegangen, das dauerte nur 10 Sekunden und war nicht gerade im Takt, aber ich werd mich immer dran erinnern :)))

Zu meiner Vermutung, daß Rafa seine Gefühle vernichten will, um unangreifbar zu sein, meinte Tron:

Das ist typisch fuer Leute, die nen emotionalen Schock hinter sich haben und sich einmauern ...
... was vergessen wird, ist, dass das Gefuehl hinter der Mauer trotzdem da ist.
Leute, die wirklich keine Gefuehle haben, wirken ganz anders, sowas gibt es ja wirklich.
Ich kenne Rafa ja von den Scene Computer Parties, da strahlt er und ist mega begeistert und schottet sich nicht ab ...

Über Rafas Auftritt 2001 in L. konnte ich erzählen:

2001 hab ich Rafa auch in L. gesehen. Zu Beginn des Konzerts, als das Intro schon lief, hat er sich noch schnell eine Zigarette angesteckt. Und am Ende des Konzerts hat er gesagt:
"Trinkt nicht so viel."
Dann ist er hinter eine Reihe von Trennwänden gegangen, hat sich auf den Boden gesetzt, hat eine Bierdose aufgemacht und gerufen:
"Ich kann nicht mehr!"
Also, gut gings ihm da nicht, warum auch immer ...
Er war unsicher und hat bei den "Moorsoldaten" die dritte Strophe vergessen. Ich hab mit ihm gefühlt.

Tron mailte:

Hättest ja probieren können, ihn aufzurichten :)

Hierzu mailte ich:

Als Rafa hinter den Trennwänden "Ich kann nicht mehr!" gerufen hat, hab ich wirklich was unternommen. Ich habe zwischen den Trennwänden durchgegriffen und ihm den Rücken gestreichelt. Berenice stand vor ihm und stieg von einem Bein aufs andere und sagte nichts; sie konnte mich nicht sehen.

Tron mailte:

Gut, dass sie es nicht gesehen hat, ich glaube, dann hätte es Stress gegeben, und Rafa wäre es noch schlechter ergangen. Irgendwie scheint euch beide echt was zu verbinden ...

Zu emotionalen Schocks und Rafas Heiterkeit auf Computer-Parties mailte ich:

Rafa hatte mit 13 den bisher wohl schlimmsten emotionalen Schock. Aber ich glaube, es war nicht die erste sehr belastende Situation. Ich hätte gern mehr mit ihm darüber gesprochen. Rafa hat mir schon immer vorgeworfen, mich für ihn und sein Schicksal zu interessieren. Es fällt ihm viel leichter, über Technik zu reden, da ist er entspannt und zugänglich, doch sobald es um ihn selbst geht, macht er die Tür in der Mauer zu. Und mir gehts nur um ihn selber, das hat er eben nicht gern.

Tron mailte:

Hmm ja, so kennt man ihn wohl. Aber verdammt viele in der schwarzen Szene sind so, tragischer Todesfall in der Familie, als Kind missbraucht, es gibt viele Schicksale ...
Jeder wird da anders oder auch gar nicht mit fertig. Wenn man von gewissen Sachen weiss, kann man sich gewisse "Macken" erklären, manchmal interpretiert man allerdings auch zu viel hinein oder laesst einen bei anderen Dinge sehen, die einem selbst passiert sind.

Tron kam darauf zu sprechen, daß Berenice mich wohl nicht besonders leiden könne. Ich schilderte, wie Berenice mich eines Nachts im "Exil" angefallen und mir beinahe das Kleid zerrissen hat. Tron wunderte sich:

Boar, das sieht ihr ja gar nicht ähnlich, so kenn ich sie ja gar nicht, sie ist doch immer so ruhig, überlegt, so ausgeglichen, Vegetarier und Freund der Tiere.
Hmm, vielleicht hat sie nichts gegessen und dann was getrunken.
Mit Berenice und Rafa ist ja eh jetzt Schluss, haben nach aussen hin immer so harmonisch gewirkt. Bin gespannt, ob die neue Sängerin auf Dauer in der Band bleibt. Ist halt nichts für die Ewigkeit.

Ivco mailte, er habe Rafa nach dem Tape mit der Venusfalle auf dem Cover gefragt. Rafa habe rundweg abgelehnt, jemals noch eine Kopie davon weiterzugeben.



Am Freitag war ich mit Constri im "Mute". Ich ging ganz in Schwarz, mit spitzenbesetzter Samtcorsage und durchsichtigem Rock. In die Kunsthaarfrisur mit den langen Zöpfchen hatte ich Bänder aus Spitze und Satin gesteckt. Constri hatte ihr schwarzes Samtkleidchen mit dem weit schwingenden Rock an. Im großen Saal gab es harte elektronische Musik, und ich war meistens auf der Tanzfläche. Auch Cyra legte im großen Saal auf.
Ivco bekam von mir CD's mit Rafas gesammelten Raritäten, und er bekam die beiden Kassetten wieder, die er mir geliehen hatte. Ivco erzählte von dem vergriffenen ersten Feindsender-Tape, das Rafa noch seinem vorherigen Projekt Honigmond zurechnet. Jenes Tape, das das Bild einer Venus-Fliegenfalle ziert, hatte Ivco von Rafa 1993 bekommen, es jedoch an jemand anderen weitergegeben, in der Hoffnung, daß Rafa ihm noch eines geben werde. Er meinte, Rafa habe ihm wohl deshalb keines gegeben, weil er nicht oft genug nachgefragt habe. Ich erzählte, daß ich Rafa damals oft nach dem Tape gefragt habe und daß er mir jedesmal fest versprochen habe, es mir mitzubringen; das habe er jedoch nie getan.
"Das ist ungewöhnlich für Rafa", meinte Ivco, "der ist eigentlich verläßlich. Es kann höchstens sein, daß er mal etwas verschlampt."
"Ich erlebe Rafa als unzuverlässig", berichtete ich meine Erfahrungen. "Rafa hat mir oft etwas versprochen, das er nicht gehalten hat, und er hat mich auch versetzt. Wir haben uns im Frühjahr 1993 verabredet, und er war nicht da. Als ich ihn wiedergetroffen habe, hat er gesagt:
'Ich hatte keine Zeit. Und ob ich Zeit habe und ob ich Zeit haben will, entscheide ich.'"
Tron war nicht im "Mute", ließ mich aber durch einen von Ivcos Bekannten grüßen.
Constri unterhielt sich mit Ivco über Kindererziehung. Denise und Ivcos Tochter Dina sind fast im gleichen Alter.
Am Merchandize-Stand gab mir Peter die drei "belgischen Bussis". Curtis erschien hinter mir, sagte:
"Psst!"
und küßte mich ins Genick.
Cennet und Len waren auch im "Mute". Len hat Silvester ganz allein in seiner Wohnung verbracht, weil er sich ausruhen wollte. Er habe sich dann aber so allein doch nicht wohl gefühlt.
Barnet und Heloise waren mit ihrer dreizehnjährigen Tochter Felicity im "Mute". Sie mag die Musik der dunklen Szene, und ganz besonders gefällt ihr Dero von Oomph!.
Xotox brachten auf der Bühne die explosiven Rhythmen, mit denen sie sich einen Namen gemacht haben. Schnell entwickelte sich eine fröhliche Tanzparty.
Im Durchgang zum Foyer begegnete ich Dirk I. und umarmte ihn zur Begrüßung.
"How are you?" fragte er.
"I'm fine", antwortete ich, "die Musik ist so geil."
Tanzen zu Industrial kann so viele Sorgen leichter wirken lassen.
Dirk I. hatte auf der Bühne viele Sorgen. Während seines Auftritts als Dive blieb mehrmals der Ton weg, und er suchte an seinen Geräten nach dem Fehler. Das Publikum ließ sich die Stimmung nicht verderben. Dirk lachte erleichtert und wohl auch verwundert, weil er trotz seiner Pannen gut ankam.
Nach dem Konzert ging ich ins Foyer und sah Rafa in der Nähe des Eingangs an der Bar stehen. Er redete mit mehreren Leuten. Er trug eine schwarze Uniformjacke und die Brille mit den blauen Gläsern, und er hatte sich eine Zigarette hinters Ohr geklemmt. Ich unterhielt mich mit Claudius und beobachtete Rafa aus mehreren Schritt Entfernung. Als Rafa mich erblickte, lächelte er mir ins Gesicht und hob sein Bierglas. Ich lächelte zurück. Kurz danach ging Rafa sehr dicht an mir vorbei, und ich konnte ihn an der Schulter kraulen. Er wich nicht aus, blieb aber auch nicht stehen, sondern ging in den kleinen Saal, das "Maximum Volume", wo er lange Zeit hinterm DJ-Pult blieb und Achtziger-Jahre-Popmusik spielte.
In einer Tanzpause ging ich mit Constri die Treppe zur Galerie hinauf, und im oberen Flur kamen uns Kappa und Edaín entgegen. Constri versicherte Kappa, daß es ihr heute sehr gut gefalle. Edaín freute sich, Constri endlich kennenzulernen. Kappa erzählte, wenn er seine dreijährige Tochter Maya auf dem Arm habe, komme es vor, daß sie ihre Ärmchen um seine Schultern legt und sagt:
"Papa, du brauchst keine Angst zu haben, ich beschütze dich!"
Constri und Edaín unterhielten sich über die Schwangerschaft mit ihren Kindern und über Kindererziehung. Als Constri fortmußte, weil sie eine Mitfahrgelegenheit bekam, verabschiedeten Constri und ich uns wie gewohnt mit einem nüchternen:
"Wir telefonieren."
Edaín wunderte das; sie findet Abschiedsrituale sehr wichtig. Ich erzählte, daß ich auf solche Rituale auch viel Wert lege, mit Ausnahme von Constri; auch bei Derek und Denise lasse ich Abschiedsrituale meist unter den Tisch fallen. Edaín meinte, für Kinder seien solche Rituale besonders wichtig.
"Stimmt", erinnerte ich mich, "neuerdings verabschiede ich mich von Denise immer länger, weil ich das Gefühl habe, daß sie das braucht. Wenn sie sagt:
'Hetty brumm! Hetty brumm!'
- dann kann ich nicht anders, ich muß sie knuddeln und dauernd sagen:
'Ich fahre jetzt weg, aber ich komme bald wieder.'"
Was Constri betrifft, so halte ich zu ihr eine Art Standleitung. Jede ist für die andere immer anwesend, ob sichtbar oder nicht.
Curtis gesellte sich zu uns und erzählte, daß er seiner Tochter gegenüber oft zu weichherzig sei und ihr im Supermarkt etwas Süßes kaufe, und das Ergebnis sei, daß sie im Supermarkt Trotzanfälle habe, wenn er ihr nichts kaufen wolle. Vielleicht sei er so weichherzig, weil er das Kind seit der Trennung von seiner Freundin nur noch am Wochenende sieht. Und dann möchte er gerne der "Superdaddy" sein.
Edaín erzählte, da sie ihrer Tochter nie etwas Süßes im Supermarkt kaufe, komme Maya gar nicht auf diesen Gedanken, und es gebe keine Trotzanfälle im Supermarkt.
Als ich mit Edaín wieder allein dastand, kam Rafa auch herauf, und ich lächelte ihm entgegen. Er ging dicht an uns vorbei, und ich streichelte seinen Arm. Da hielt er im Gehen inne, stellte sich zu uns und fragte Edaín, ob er im großen Saal auflegen dürfe. Edaín gestattete ihm das und fragte ihn, was für Musik er spielen wollte. Rafa äußerte sich nicht eindeutig. Er ging rasch weiter.
"Er kann Industrial auflegen", versicherte ich. "Er kann das, ich weiß es."
Edaín meinte, solche Veranstaltungen wie die heutige könne es noch öfter im "Mute" geben. Für Stimmung sei jedenfalls gesorgt, wenn ich auf der Tanzfläche sei. Eigentlich müßte man nur einen Schlüssel haben, mit dem man mich aufziehen könne, dann sei Stimmung garantiert.
Als ich Edaín erzählte, daß ich am 27. Kapitel von "Im Netz" arbeite, sagte sie:
"Ach, ich muß endlich wieder dein Buch lesen!"
"Na ja, es ist ja keine Pflicht, nur eine Möglichkeit."
"Ja, aber ich mache es gern, es gibt mir etwas."
Über die Beziehung zu ihrer Mutter erzählte Edaín, daß sie von ihr geliebt werde und immer geliebt worden sei, habe sie erst mit Mitte zwanzig gemerkt. Und so sollte das in der Geschichte auch stehen, denn so stimme es. Ich erzählte, daß dies auch so beschrieben sei.
Im großen Saal erschien Rafa nicht am DJ-Pult. Ich schaute im "Maximum Volume" nach, und da streifte er durch den engen Hauptgang und holte Bier von einer Theke. Ich konnte Rafa mehrmals streicheln, während er an mir vorüberging. Er wich nie aus, wandte sich aber auch nie mir zu.
Rafa trug zwei Bierflaschen zu einem fast leeren Tresen und setzte sich so, daß ich ihn von dem Tischchen aus, neben dem ich stand, gut sehen konnte, doch das langhaarige, sehr blonde Mädchen, mit dem er Bier trank, war durch eine Säule verdeckt und konnte mich nicht sehen. Rafa und das Mädchen rauchten und tranken, und er tat etwas, das für ihn als Schürzenjäger Routine ist - er redete und redete und kam dem Mädchen Stück für Stück immer näher. Zwischendurch setzte er seine Brille mit den blauen Gläsern auf, blickte schelmisch in meine Richtung, dann zu dem blonden Mädchen, dann setzte er die Brille ab. Wieder und wieder blickte ich geradewegs in Rafas lächelndes Gesicht. Er schien zu genießen, was er tat - entweder weil er sich wieder einmal seiner Wirkung auf Frauen vergewissern konnte - oder vielleicht auch, weil er mich damit wütend machte. Sehr ausdauernd redete Rafa auf das Mädchen ein. Um mich herum standen mehrere Jungen, mit denen ich mich unterhielt; dazu gehörten Cennet, Ferry, Corey, Haldor und Louis. Haldor machte keinen Hehl aus seiner Verehrung für mich. Er sah mehrmals hinter der Säule nach, was für ein Mädchen das war, mit dem Rafa flirtete, und das dürfte Rafa nicht entgangen sein. Haldor berichtete, das Mädchen sei dick, und ihm gefalle es nicht.
Nachdem Rafa dem blonden Mädchen näher und näher gekommen war, begann er dem Mädchen Bussis zu geben, in immer kürzeren Abständen.
"Los, wir gehen", sagte ich zu Cennet. "Das muß ich mir nicht mehr angucken. Irgendwann reicht's auch."
Cennet wartete im Eingangsbereich, während ich kurz zu Kappa ins Foyer ging.
"Rafa macht gerade eine Bettgeschichte klar", erzählte ich Kappa, "der ist da voll am 'rumflirten mit irgendsoeinem Mädel, das muß ich mir nicht angucken, deshalb gehe ich jetzt schon. Eins ist noch wichtig: Rafa hat am Dienstag Geburtstag. Gehst du da hin?"
"Oh, ich denke schon."
"Wenn du hingehst, bitte sage ihm von mir herzlichen Glückwunsch. Und sage ihm, ich würde ihn sehr gerne an seinem Geburtstag besuchen, aber er hat mich ja nicht eingeladen, und ich will mich nicht aufdrängen."
Cennet und ich gingen draußen an der großen Fensterscheibe vorbei, durch die man ins "Maximum Volume" schauen und den Platz gut sehen kann, wo Rafa mit dem blonden Mädchen flirtete. Doch da saß niemand mehr; die beiden waren verschwunden. Sie hatten sich entfernt, wie ich mich eben mit Cennet auf den Weg machte. Cennet wartete draußen vorm "Mute", und ich ging noch einmal ins "Maximum Volume", um nachzusehen, fand aber die beiden nicht mehr. Ich verabschiedete mich von Dirk I., der beim DJ-Pult an einem Tisch saß, und umarmte ihn.
"Until next time", sagte er.
"Viel Streß", sagte ich.
"Oh yes ...", seufzte er. "We had lots of problems."
"But nevertheless is was very good", lobte ich. "Anybody likes you here."
"Thank you", sagte Dirk gerührt, und wir drückten uns gleich noch einmal.
Cyber wollte mich nicht so einfach weglassen.
"Also, das ist doch nicht dein Ernst", sagte er. "Das ist unser Lied, du mußt tanzen!"
"Iceolate" von Frontline Assembly lief. Ich ging die Stufen zur Tanzfläche hinunter, da kam Peter mir mit offenen Armen entgegen, um mich zum Tanz zu führen. Also tanzte ich doch noch, obwohl ich meinen Mantel schon anhatte. Es war ein entspanntes, ausgelassenes Gehüpfe. Auch Cyra und Curtis waren auf der Tanzfläche. Dirk machte große Augen. Ihn schien die Fröhlichkeit anzustecken, doch er schien sich nicht zu uns auf die Tanzfläche zu trauen.
Als ich wieder zu Cennet herauskam, erzählte der, in den fünf Minuten, in denen ich im "Maximum Volume" tanzte und mich verabschiedete, seien Rafa und das blonde Mädchen an ihm vorbeigehuscht und mit einem Taxi weggefahren.
"Wußte ich's doch, er macht sie als Bettgeschichte klar", seufzte ich.
Cennet und ich frühstückten im "Nachtbarhaus". Ich erzählte, wie ich für den Roman "Wirklichkeit" die Figur des Tain entwickelt habe, mit Rafa als Vorbild. Während ich aus der Sicht von Tain schrieb, versetzte ich mich in das Erleben von Rafa hinein und konnte nachvollziehen, was Rafa dazu treibt, wieder und wieder Frauen zu verführen, die ihn bewundern und die er nicht liebt.
Auch über Rafas Versagen im Berufsleben sprachen wir. Rafa schlägt weit ab gegen Cennet, der sich als Informatiker eine Existenz aufgebaut hat und von seiner Arbeit gut leben kann.
Ich meinte, Rafa habe sich so weit von der Arbeitswelt entfernt, daß er sie als unheimlich und nebulös wahrnimmt, als etwas Ängstigendes, so daß er die Anforderungen, die das Berufsleben an die Menschen stellt, mit einem Monster vergleicht, das die Menschen auffrißt.
Rafas Fluchtwünsche, die er in seinen Liedtexten äußert, sind auf eine fiktive Welt gerichtet, die vor allem weit weg von der Erde ist und allein ihm gefällt, sonst aber nicht genauer beschrieben wird. Er klagt über Einsamkeit, möchte aber zugleich in einer Welt leben, die weit von den anderen Menschen entfernt liegt, woraus sich ein Widerspruch ergibt. Rafa möchte jeder möglichen Enttäuschung aus dem Weg gehen und verzichtet daher auf tiefe emotionale Bindungen, die seinem Leben Erfüllung schenken könnten. Zugleich klagt er über innere Leere.
"Im Grunde", so meinte ich, "sind seine auf Flucht ausgerichteten Texte eine Absage an das Leben an sich. Rafa vermeidet das, was das Leben ausmacht. Er entfernt sich von den Menschen und auch von sich selbst."
Cennet erzählte, daß er einem Arbeitskollegen Musik von W.E zu hören gab. Der Kollege soll bemerkt haben:
"Die haben es aber ganz schön mit dem Tod."
An Tron mailte ich über Rafas Beziehung mit Berenice:

Berenice wird überwiegend als nett und vernünftig erlebt. Ich scheine für sie eine besondere Bedrohung gewesen zu sein (warum, weiß ich nicht, da ich keine Gefahr für sie darstellte, denn Rafa hatte sich ja für sie entschieden). Ich denke, daß sie eher selten aggressiv wird.
Rafa und Berenice scheint es sehr wichtig gewesen zu sein, daß ihre Beziehung nach außen harmonisch wirkte. Die Beziehung war nicht harmonisch.

Tron mailte:

Wäre es mit einem anderen Partner vielleicht noch viel weniger, aber ich habe es natürlich nur von außen gesehen.

Über den Roman "Im Netz" mailte ich:

Daß ich über Rafa schreibe, geschieht von selbst, seit ich ihn kenne. Das mache ich, ohne es mir vorgenommen zu haben. Nun habe ich immer den Wunsch, Ergebnisse kreativer Arbeit bekannt zu machen, und das Internet bietet hierfür die Möglichkeit. Daß Rafa diesen Roman jemals liest, bezweifle ich. Sicher, wenn er ihn lesen würde, würde ihm manches klar werden. Aber ich denke nicht, daß er es tut. Das ist so wie mit einer heißen Herdplatte, er faßt das nicht an.

Tron mailte:

Hmmm, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er es NICHT getan hat, allerdings sehr wohl, dass er es Dir gegenüber niemals zugeben wird.

Ich mailte:

Na ja, vielleicht liest Rafa den Online-Roman irgendwann doch heimlich. Allerdings, wenn er wirklich alles liest und nicht nur durchscrollt, dauert das mehrere Wochen, denn der Roman hat inzwischen ca. 3000 Seiten.

Tron mailte:

Ui! Da sollte er sich aber geehrt fühlen, wenn Du ihm einen so großen Teil Deines Lebens widmest.
Mich würde mal interessieren, was dein/e Partner zu deiner Verbundenheit zu Rafa sagen?

Ich mailte:

Partner gibt es in meinem Leben nicht, solange Rafa nicht "ja" zu mir sagt. Das habe ich ihm sehr oft gesagt, aber geglaubt hat er es mir nie. So manch einer findet meine Treue unverständlich, und ich habe schon vielen Leuten zu erklären versucht, warum sie für mich selbstverständlich ist. Ich empfehle inzwischen jedem, der sich wundert, den Roman auf meiner Homepage zu lesen, denn darin steht die ganze Geschichte.

Tron mailte:

Hmmm bei jedem anderen wäre ich wohl auch dieser Ansicht, aber irgendwie passt es zu Dir, und ich glaube Dir das, ich muss feststellen, dass Du eine sehr faszinierende Person darstellst, wenigstens etwas Interessantes, was aus H. kommt (Rafa und Co. kommen ja aus SHG., die rechne ich jetzt mal nicht dazu) ...

Über Rafas Beziehung zu mir mailte ich:

Rafas Stück "Tanz eiskalt" gibt wahrscheinlich ungefähr wieder, was Rafa mir gegenüber empfindet:

Ich reiß mein Herz aus mir heraus,
und mein Gefühl, das schalt ich aus.

In einer Welt aus Trug und Schein
tanzen wir mit uns allein.

Ich tanz und drehe mich herum
auf einer Mauer um mich rum.

Ich will mit dir zusammen sein,
doch mein Verstand, der sagt mir: "Nein."

Dein Leben ändert sich schon bald,
denn tief in uns sind wir nur kalt.


Rafa ist immer davon ausgegangen, daß ich ihm keinesfalls treu bin. Vertraut hat er mir nie. Als im "Zone" vor Jahren Rafas Stück "Schweben, Fliegen und Fallen" gespielt wurde, rannte Rafa auf mich zu und sang mir den Text ins Ohr:
"Sagst du zu mir: 'Ich liebe dich.' Doch diesem Frieden trau ich nicht."
Ja, das wär schön, wenn Rafa das als positiv erleben würde, daß ich mich so viel mit ihm befasse. Bislang glaubt er, daß ich nur aus Haß über ihn schreibe und ihm nur schaden will. Ich habe versucht, ihm zu erklären, daß das nicht stimmt. Ob er es verstanden und an sich herangelassen hat, weiß ich nicht.

Tron mailte:

Ich denke, tief drinne weiss er, dass Du es nur gut mit ihm meinst.

Tron schickte mir mehrere URL's, über die ich Musik herunterladen konnte. Wir tauschten uns über Science Fiction aus, über Zeitreisen und Seriendarsteller mit sieben Leben und auch über "Raumpatrouille Orion". Ich mailte:

Rafa hat ja ein Stück gemacht über Raumpatrouille Orion (ich vermisse leider den Humor darin).

Tron mailte:

Ich glaube nicht, dass er die Serie mit den gleichen Augen sieht wie Du.

Ich mailte:

Stimmt, es kann sein, daß Rafa in der Raumpatrouille Orion was anderes sieht als ich. Ich sehs als Kult-Komödie und süße Liebesgeschichte. Und Rafa siehts vielleicht eher als Vision.

Tron mailte:

Letztendlich sind diese ganzen SF Serien ja nur Projektionen aus der Gegenwart in die Zukunft. Oft liegt man total daneben, in den 50ern dachte man noch, dass 5 Computer für die ganze Welt ausreichen würden, und das Internet hat auch keiner vorhergesagt ...

Rafa lud im W.E-Forum zu einer Benefiz-Veranstaltung Mitte Januar in HL. ein:

Sehr verehrte Damen und Herren,
ich (Honey) lade hiermit kurzfristig jeden Menschen ein ...
Die Einnahmen werden an "Ärzte ohne Grenzen" gespendet.
Ich freue mich, Sie am kommenden Wochenende begrüßen zu können.

Hochachtungsvoll
Honey / W.E

Ich schrieb als "fractal":

Die Idee ist sehr gut ... leider ist es recht weit weg ...

An Ivco mailte ich:

Rafa hat in seinem Forum erzählt, daß er am 15.01. in HL. auflegt, bei einer Benefizparty. Benefizparties finde ich sehr gut, und ich würde gerne nach HL. fahren, aber an der Sache ist ein Haken:
In der Freitagnacht im "Mute" hat Rafa gegen Morgen ausgiebig und intensiv mit einem Mädchen mit langen blonden Haaren geflirtet, er saß mit ihr an einer Bar und hat mit ihr getrunken und geraucht und ihr Bussis gegeben und auf sie eingeredet und währenddessen mich beobachtet und angelächelt. Dann, als es mir zu bunt wurde und ich ging, ist er auch gegangen, d. h. er ist mit dem Mädchen in einem Taxi weggefahren (und ich gehe davon aus, daß er mit ihr was hat). Nun, ich könnte mir vorstellen, daß Rafa sich auch in HL. ein Mädchen sucht, mit dem er flirtet und dem er Bussis gibt (und was hat). Und das will ich mir nicht ansehen. Im "Mute" amüsiere ich mich auf jeden Fall, ob ich mich jedoch unter solchen Umständen auch in HL. noch amüsieren könnte, weiß ich nicht.
Rafa hat am Dienstag Geburtstag, er hat mich nicht eingeladen, also gehe ich nicht hin. Ich würde ihn sehr gerne an seinem Geburtstag besuchen, aber ich will mich nicht aufdrängen. Falls du hingehst, würde ich mich freuen, wenn du ihm von mir gratulierst und ihm sagst, ich wäre gern bei ihm, aber ich dränge mich niemandem auf und erscheine niemals da, wo ich nicht eingeladen werde. Das habe ich Kappa auch gesagt und ihn auch gebeten, Rafa von mir zu gratulieren.
Wenn du magst, kannst du Rafa auch sagen, die Idee mit HL. ist super (ich finde Benefizparties immer super), aber ich will ihm nicht beim Flirten zugucken müssen.

Kurz nach Mitternacht stellte ich an Rafas Geburtstag die Fotoserie "Neujahr - Straßen im Winter" online und setzte im W.E-Forum einen Link dazu, mit einem Banner, das einen Ausschnitt aus einem der Fotos zeigt, in aetherischem Blau. Ich versteckte die tatsächliche Bedeutung der Fotoserie hinter der Überschrift "Neujahr ...".
Die frostige Stimmung der Bilder gibt wieder, was ich empfinde. Und die kreative Arbeit ist für mich so aufbauend, daß sich dadurch ein Stück weit die Tatsache ausgleichen läßt, daß ich Rafa nichts zum Geburtstag schenken kann.
Per E-Mail erinnerte ich Kappa an meine Bitte, er möge Rafa gratulieren. Kappa mailte:

Ich werde Rafa gratulieren. Er sagt, dass er nie einlädt zum Geburtstag.
Wer kommt, der kommt, mehr sagte er nicht dazu.

"Wer kommt, der kommt."
Dieser Satz beschäftigte mich von nun an.
"Toll! Da gehst du doch hin!" sagte Merle, als ich ihr Kappas E-Mail vorlas.
"Warum auch nicht?" kam mir der Gedanke. "Ausgeladen hat Rafa mich nicht, eingeladen hat er niemanden wirklich, er macht es nur davon abhängig, wer zu ihm kommt. Und ob er eine Freundin hat, weiß auch keiner."



Gegen zehn Uhr abends fuhr ich durch die Straße, in der Rafa wohnt, und erkannte das düstere Backsteinhaus wieder, das ich neun Jahre lang nicht mehr gesehen hatte. Als ich mein Auto in einer Seitenstraße geparkt hatte und auf Rafas Haus zuging, sah ich, wie ein Mädchen mit langen blonden Haaren eine Limousine in Rafas Einfahrt lenkte und dicht hinter einem anderen Auto parkte. Ich wartete, bis das Mädchen im Inneren des Hauses verschwunden war, und ging auf die Haustür zu. Rafa schien bemerkt zu haben, daß noch jemand auf das Haus zukam; er war in der offenen Tür stehengeblieben. In der rechten Hand hielt er ein volles Bierglas.
"Was willst'n du hier?" fragte er kurz angebunden.
"Ich konnte nicht herausfinden, ob du mich heute sehen willst oder nicht", entgegnete ich, "aber du kannst mich auch gerne wieder 'rauswerfen."
"Wie bist du hier?"
"Mit dem Auto."
"Das meine ich nicht. Wie bist du hier? Bist du allein?"
"Ja."
"Also, los - komm' 'rein. Du mußt aber alle Spiele mitmachen."
"Das tue ich doch gerne. Aber vorher muß ich dir ja noch gratulieren."
Rafa nahm das Bierglas in die linke Hand, und ich konnte ihm die rechte Hand schütteln und gratulieren.
"Das wollte ich doch unbedingt", sagte ich, "das war mir doch wichtig. Deshalb bin ich ja auch hier."
Als ich mich zum Treppenhaus wenden wollte, dirigierte er mich zum Keller:
"Ab in den Keller. Alles ab in den Keller."
Unten im Kellervorraum stand ein Eßtisch, daran saßen Ivco, Darius und Dolf. Rafa, der hinter mir herunterkam, machte von der Treppe aus eine Ansage:
"Halt - also, das muß ich jetzt erstmal erklären - wir haben hier einen Spezial-Gast. Damit habe ich ja überhaupt nicht gerechnet."
Rafa stellte mir die Leute am Eßtisch vor, die ich alle schon kannte.
"Weißt du, wo alles ist?" fragte er mich. "Hier ist zu essen, da ist zu trinken ..."
"Ja, ich finde mich schon zurecht."
Rafa ging hinüber in einen größeren Kellerraum.
"Ach, das ist ja eine Überraschung!" sagte Ivco zu mir, mit freundlichem Lächeln.
"Ja, ich wußte ja nicht, ob er mich heute sehen will", erklärte ich, "und da konnte ich nichts anderes tun, als es selbst herauszufinden."
"So, dann gib deine Sachen her, die tust du am besten gleich da 'rein ..."
Links vom Vorraum geht es in eine Abstellkammer. Ivco öffnete die Tür und legte meine Sachen dort hinein.
Es gab einen Knall. Dolf war aus Versehen gegen ein Grabkreuz gekommen, das an der Wand lehnte, und das Kreuz war umgefallen.
"Das kann auch nur hier passieren", sagte Dolf in das allgemeine Gelächter hinein.
Noch mehr seltsame Dinge soll es in diesem Keller geben. In einem der Vorratskeller sollen bei einer früheren Party einige Gäste Weinflaschen gefunden haben aus Rafas Jahrgang 1971. Die hatten die Eltern wohl anläßlich seiner Geburt gekauft.
Rafa gab mir einen Spielzettel, den sollte Ivco mir erläutern.
"Hier macht sich jeder zum Obst", sagte Dolf aufmunternd.
"O.k.", sagte ich, "denn mal gucken."
Rafa betonte, er habe sich mit dem Erfinden und der Zusammenstellung der Spiele viel Mühe gemacht. Die Überschrift des Spielzettels lautete "Geburtstags-Decathlon". Jeder Gast bekam einen solchen Spielzettel, auf dem zehn Aufgaben geschrieben standen; die sollten nacheinander bewältigt werden. Rafa selbst spielte nicht mit.
Über der Tür zu dem größeren Kellerraum, wo Rafa sich eingerichtet hatte, hing ein bedrucktes Papierschild mit der Aufschrift "Zutritt erst ab 180 I.Q.".
"Woher will er das denn wissen?" dachte ich. "Es gibt doch gar keinen Intelligenztest, der in diesem Bereich sicher differenziert."
Rafa stellte mir die Leute vor, die in dem Kellerraum waren. Auf einem Ecksofa an der Fensterwand saß das Mädchen mit den langen blonden Haaren, das ich eben in der Limousine gesehen hatte.
"Das ist Tyra", sagte Rafa, und nun wußte ich, daß es sich um seinen Ersatz für Berenice handelte.
"Er hat bestimmt was mit ihr", dachte ich. "Aber dick ist sie nicht, also ist sie wahrscheinlich nicht diejenige, die er am letzten Freitag aus dem 'Mute' abgeschleppt hat."
Rafa stellte mir außerdem einen Jungen mit schulterlangen schwarz gefärbten Haaren und Stirnband vor, der mir letztes Jahr schon als "Zebra-Punker" im "Mute" aufgefallen war.
"Das ist Herr Lehmann", sagte Rafa. "Man sieht ihn nie ohne Darienne, und man sieht Darienne nie ohne Herrn Lehmann."
Darienne war ein unscheinbar wirkendes Mädchen mit langen schwarz gefärbten Haaren.
Die weiteren Gäste waren Anwar, dessen Bruder Veljan und Tyras Schwester Lani.
"Ich kenne dich, aber wie heißt du nochmal richtig?" fragte Anwar.
"Hetty."
"Ich nenne dich immer 'Puppet', wegen deinem Tanzstil."
Rechts von dem Sofa hatte Rafa an der Längswand seine Elektronik aufgebaut, Geräte zum Musizieren und mehrere Computer, darunter auch ein moderner internetfähiger Rechner. An der gegenüberliegenden Wand, links von dem Sofa, hatte Rafa eine W.E-Fanwand gestaltet, mit CD-Covern, Postern, Autogrammkarten und Pressefotos.
"Vielleicht braucht er das, um sich selbst immer wieder von seiner Grandiosität zu überzeugen?" fragte ich mich.
Der Keller wirkte etwas verlottert, ungefähr wie ein Gruppenraum in einem Jugendzentrum. Er hatte nicht das Kunstvolle, Designerhafte und Gepflegte an sich, das ich an Rafas Wohnräumen so bestaunt hatte, als ich ihn vor zwölf Jahren zum ersten Mal besuchte. Zierende Objekte gab es aber schon; an der W.E-Fanwand hingen drei der historischen Nintendo Game & Watch, auf einem Lautsprecher stand ein Plastik-Weihnachtsmann, der Seifenblasen machen konnte, und auf dem Fernseher stand eine "Fireball"-Effektlampe, eine auf einem Sockel befestigte Glaskugel, in der violette Blitze zuckten.
Eine Aufgabe im "Geburtstags-Decathlon" war "Murmeln schätzen". Es wurde eine Flasche voller Murmeln gezeigt, deren Anzahl man schätzen sollte. Ich zählte die Murmeln nach Höhe, Breite und Tiefe der Flasche aus und schätzte "100". Der Schätzwert wurde auf dem Spielzettel notiert.
Eine Aufgabe war "Stift in Flasche". Man bekam an den Gürtel oder an eine Schnur, die einen Gürtel bildete, hinten einen Stift angehängt und mußte es schaffen, den Stift in eine Flasche zu manövrieren.
Vor dem Sofa stand ein niedriger Tisch mit einem erweiterten C64 und dem Fernseher darauf. Der Fernseher übernahm die Funktion des Monitors. Der Aufbau war wichtig für den umfangsreichsten Teil von Rafas "Geburtstags-Decathlon", nämlich die Computerspiele.
Rafa meinte, am besten sollte ich mit "Clownswippe" anfangen, das sei nicht so schwer.
Ich setzte mich aufs Sofa. Darius, der sich auch dort hingesetzt hatte, begrüßte mich freundlich:
"Hallo, du!"
Tyra rückte zur Seite, damit ich Platz nehmen konnte.
Bei dem Computerspiel "Clownswippe" ging es darum, daß Leute auf eine Wippe sprangen, dadurch flogen andere Leute in die Luft und mußten Bälle kaputtmachen. Das fiel mir schwer; außer einigen Moorhühnern, die ich abgeschossen habe, habe ich in meinem Leben kaum Computerspiele gespielt.
Rafa störte mich beim Spielen, indem er den Weihnachtsmann einschaltete, der Seifenblasen machen konnte. Vor Lachen kam ich nicht zum Weiterspielen.
"Das ist ja sowas von abgefahren, sowas von von ultrageil", sagte ich.
"Geil ist was anderes", widersprach Rafa. "Geil ist, wenn er jetzt sich einen lecken würde."
"Alles klar, alles klar."
Während ich "Clownswippe" spielte, kam Rafas Bruder Toto in den Kellerraum. Weil ich mit dem Spiel beschäftigt war, begrüßten wir uns nur kurz. Rafa gab mehrfach seiner Freude Ausdruck, daß Toto zur Feier heruntergekommen war.
Eine Aufgabe im "Geburtstags-Decathlon" war das "Drittellitertrinken"; man mußte nach Stoppuhr einen Drittelliter eines selbst ausgewählten Getränks trinken. Ich wählte Kirschcola. Auf dem Tisch standen außer dem Rechner und dem Monitor lauter volle Aschenbecher, Gläser und Bierflaschen, neben Feuerzeugen und verschiedenem Unrat, so daß kaum Platz übrig war, um die Kirschcola-Flasche abzustellen. Ivco wusch mir ein Glas ab, in das genau ein Drittelliter hineinging.
"Schluck', du Luder!" sagte einer der Herren zu dem Weihnachtsmann.
"Das ist so geil", kicherte ich.
"Du sollst trinken, nicht reden!" ermahnte mich Rafa.
Für die nächste Aufgabe mußte man sich, auf dem Sofa sitzend, vom linken Nebenmann ein Wort ins Ohr flüstern lassen, dann zwei Dickmanns nach Stoppuhr essen und dann dem rechten Nebenmann das Wort verständlich zuflüstern. Er mußte es laut wiederholen. Wenn das Wort mit dem übereinstimmte, das der linke Nebenmann geflüstert hatte, war die Aufgabe erfüllt.
Eine Aufgabe war das "Personen-Raten". Jeder bekam einen Zettel auf die Stirn geklebt, darauf stand der Name einer bekannten Persönlichkeit. Ein Gast war Jesus, einer war Gott. Keiner wußte, wer er war, denn man durfte nicht in den Spiegel gucken. Man mußte die anderen fragen; es durften aber nur Fragen gestellt werden, die mit "ja" oder "nein" beantwortet werden konnten. Und man durfte jeden aus der Gesellschaft nur einmal fragen. Meinte man zu wissen, wer man war, schrieb man es auf den Spielzettel. Rafa gab mir während des Spiels den Hinweis, daß mein Name dem eines Sängers ähnelte, aber der Name eines Schauspielers war. Da hatte ich ihn heraus - Robin Williams.
Eine Aufgabe war ein Quiz. Der Zettel mit den Quizfragen hing an der Wand. Unter anderem wurde gefragt, woraus Cola überwiegend besteht - also Wasser.
Eine Aufgabe bestand aus mehreren Elementen des Computerspiels "Gehirn-Analyse", das Rafa im vergangenen Jahr fertiggestellt hat. Ich sollte mich auf einen Holzstuhl setzen und erst einmal zuschauen.
"Wie findest du mein neues Shirt?" fragte Rafa mich stolz. "Das hat ein Freund selbst gemacht für mich."
Rafa trug ein enges schwarzes langärmeliges Sweatshirt mit dem Emblem der Raumpatrouille Orion und darüber ein weites schneeweißes ärmelloses T-Shirt, das raffiniert zerrissen war, so daß es beinahe einem sehr groben Fischernetz oder Spinnweben ähnelte. Dazu trug er die enge schwarze BOY-Hose, die er auch beim Winterfestival im "Plaste & Elaste" angehabt hatte, und spitze schwarze Schuhe mit Schnallen. Ich fand Rafa in seinem experimentellen Schwarz-Weiß-Look wirklich hinreißend.
"Das sieht ultrasuperabgefahrengeil aus", lobte ich das kunstvoll zerrissene weiße T-Shirt. "Absolut irre ultrageil."
"Ne, das Shirt, ist das nicht auch schick, das mit Raumpatrouille Orion?"
"Ja, das ist auch supergeil."
"Du siehst heute auch recht hübsch aus", bemerkte Rafa.
Ich trug einen engen grauen Pullover mit Stehkragen, sehr kurzen Ärmeln und langen Ärmlingen und darüber meinen langen grauen Lieblings-Trägerrock. Um den Hals trug ich ein dünnes schwarzes Lederband mit einem silbernen Kreuz daran, das die Form eines Plus-Zeichens hat. Die Haare hatte ich zusammengebunden und das Haarteil mit den vielen langen Zöpfchen hineingesteckt, außerdem einige schwarze Chiffonbänder.
"Oh, danke, das Kompliment nehme ich aber gerne entgegen", sagte ich.
Rafa stand so dicht bei mir, daß ich ihn vorsichtig anfassen konnte.
Während das Spiel "Gehirn-Analyse" der Reihe nach in mehreren Gruppen gespielt wurde, fiel mir auf, daß Tyra gegen die anderen Mitspieler abstach. Sie reagierte schneller, rechnete schneller, kam schneller auf die Lösungen. Ich hingegen, die keine Übung in Computerspielen hat und lieber den Rechner bemüht, als im Kopf zu rechnen, sammelte kaum Punkte.
"Das war bei mir am Anfang auch nicht besser", erzählte Darienne. "Zuerst habe ich sogar Minuspunkte gehabt."
Als wir bei der letzten Runde nur zu zweit waren, betonte Rafa, da müsse noch ein Dritter her, damit wir nicht alleine spielen müßten. Toto müsse mitspielen, wenn auch nicht auf Punkte.
"Los, coach' ihn mal", forderte Rafa mich auf. "Aber daß du ihm das genau erklärst."
"Ja, mach' ich."
"Ja, das will ich aber sehen, ne? Denk' dran, daß du ihm das genau erklärst, ne? Du erklärst ihm alles ganz genau, ne?"
Während dieser Wiederholungen stand Rafa sehr dicht neben mir, so daß unsere Körper sich berührten.
Als es auf Mitternacht zuging, stieg die Geburtstagsgesellschaft die Kellertreppe hinauf.
"Wir sollten jetzt auch nach oben gehen", sagte Tyra zu mir. "Sonst lassen die Rafa hochleben, und wir kriegen es nicht mit."
Man versammelte sich draußen in der Einfahrt. Die Limousine stand nicht mehr dort; Tyra hatte sie wohl umgeparkt. Auch das andere Auto war fort. Stattdessen war ein weißer Gartenstuhl mitten in die Einfahrt gestellt worden. Auf einem steinernen Zaunpfosten war ein Feuerwerk aufgebaut, darum herum standen noch mehr Feuerwerkskörper. Rafa dirigierte die Zeremonie ("Du gehst jetzt hier hin, du gehst jetzt da rüber! Los, los!"). Mehrere Herren zündeten gleichzeitig die Lunten an. Es gab Goldregen, Silberregen und anderes Kleinfeuerwerk zu sehen.
Als das Feuerwerk abgebrannt war, setzte Rafa sich auf den Gartenstuhl. Mehrere Gäste stellten sich um ihn herum, ich stand hinter ihm. Wir sangen "Hoch soll er leben", und passend zu "Hoch, hoch, hoch!" hoben wir alle gemeinsam Rafa auf dem Stuhl dreimal in die Höhe. Ich legte meine Hände auf seinen Rücken und streichelte ihn.
"Mehr habe ich nicht von ihm", dachte ich.
Die Gäste sangen, er möge ein langes Leben haben, und ich sagte:
"Aber dafür müßtest du aufhören, zu rauchen."
Rafa lief in der Einfahrt herum und sagte:
"F...en, ich will auch gerne f...en, f...en ist geil."
Solche Vulgarismen gab er öfters von sich. Zwischendurch äußerte er sich lobend über Anglizismen:
"Es ist doch geil, wenn man in einem deutschen Text einen einzigen Anglizismus vorkommen läßt. Dadurch wird doch das Deutsche betont. Auch wenn in einem Text ein einziges Schimpfwort vorkommt, wird dadurch das ordentliche Deutsch betont."
Freilich gab es von Rafa so viele Vulgarismen zu hören, daß nicht mehr viel ordentliches Deutsch übrigblieb.
Im Keller spielten wir weiter "Gehirn-Analyse".
"Rafa, dein Hosenstall ist offen", bemerkte Darienne, als er von der Toilette kam.
"Ach ja, das stört mich nicht", entgegnete Rafa.
Nachher machte er sich den Hosenstall aber doch zu.
"So, jetzt gibt es Feuerzangenbowle!" kündigte Rafa schließlich an.
"Das ist ja wunderbar", freute ich mich. "Da habe ich schon lange dran gedacht, das mal zu machen, und jetzt gibt es das hier."
Im Vorraum stand das Gefäß mit der Bowle und dem Zuckerhut. Bevor ich mir einschenken ließ, ging ich zu Rafa, der vor dem Fernseher saß und beim "Titelraten" assistierte. Für das "Titelraten" bekam jeder Spieler einen Kopfhörer auf und mußte mit einem C64 nachgespielte Musiktitel erraten.
"He, guck' nicht hin", wehrte Rafa ab, damit ich nicht vorweg die Lösungen sehen konnte.
"Ja, Rafa", sagte ich, "es ist nur eins, es geht um Folgendes: Ich möchte ja gerne auch Feuerzangenbowle trinken, ich finde die ja auch sehr lecker. Nun kann ich dann natürlich nicht mehr Auto fahren, du müßtest mich also nachher in die Besenkammer sperren, bis ich ausgenüchtert bin."
"Kriegen wir hin", meinte er, "kriegen wir hin."
"O.k., das ist ein Wort."
Die Feuerzangenbowle schmeckte mir sehr gut, und nach zwei Gläsern fühlte ich mich kaum betrunken.
"Ich bin jetzt natürlich breit, kann also nicht mehr fahren", sagte ich zu Tyra. "So ist das eben, muß ich also hier in der Besenkammer bleiben, bis ich wieder nüchtern bin."
"Oder in Rafas Bett", sagte Tyra.
"Ja, aber ich glaube, da läßt er mich nicht 'rein."
Tyra wirkte auf mich nicht eifersüchtig, sondern entspannt und freundlich. Ihr Wesen wirkte auf mich auch jetzt aus der Nähe so ruhig, wie es beim Winterfestival auf der Bühne gewirkt hat.
Tyra, Lani und Darienne sind alle drei sehr jung, deutlich jünger als Rafa, der heute vierunddreißig wurde. Tyra ist einundzwanzig, Lani ist ihre jüngere Schwester, Darienne ist achtzehn und geht noch zur Schule. Mit Tyra konnte ich mich gut unterhalten, Lani wirkte schüchtern, und mit Darienne war ein Gespräch kaum möglich, weil sie nur knapp und oberflächlich antwortete und von sich aus wenig sagte. Die anwesenden Herren waren älter, mit Ausnahme von Darius; Ivco, Dolf und Anwar sind in Rafas Alter, Veljan ist so alt wie ich, Toto war mit Anfang vierzig der Älteste in der Runde, Herr Lehmann ist wenige Jahre jünger als Rafa.
Gespräche waren während der Party dadurch beeinträchtigt, daß Rafa den Gästen den "Geburtstags-Decathlon" auferlegte. Einerseits brachten die Spiele Struktur in die Party und verhinderten Leerlauf, andererseite behinderten sie aber auch die persönlichen Kontakte zwischen den Gästen. Vielleicht lag das mehr oder minder bewußt in Rafas Absicht; die Spiele waren ein Mittel für ihn, die Gäste zu kontrollieren und deren Stimmung zu kontrollieren. Daß Ivo Fechtner Rafas Geburtstagsparties mit einem Kaspertheater verglichen hat und die Gäste mit Handpuppen, konnte ich gut nachvollziehen.
Im Vorraum des Kellers trank ich mit Toto noch mehr Feuerzangenbowle.
"Mensch, wir haben uns vor neun Jahren zum letzten Mal gesehen, kannst du dich noch erinnern?" fragte ich ihn.
"Ja, vielleicht", antwortete er.
Ich erzählte, daß ich gerade dabei war, den Chef zu wechseln. Es sei eine Fügung des Schicksals, daß ich ausgerechnet jetzt krankgeschrieben sei, so daß ich heute nacht mitfeiern konnte.
Toto erzählte, daß er schon seit zwanzig Jahren in derselben Keksfabrik arbeitet und daß sein Job nur deshalb einigermaßen sicher ist. Viele andere bekämen nur Zeitverträge oder Achtzig-Prozent-Verträge.
Toto und ich unterhielten uns über unsere Wohnungen. Ich erzählte, daß ich wegen des Pultdachs im vorderen Zimmer eine Deckenhöhe von 3,65 Metern habe. Toto bat mich, in seine Wohnung mitzukommen, um deren Deckenhöhe zu betrachten. Wir gingen hinauf in seine Wohnung im Hochparterre.
"Drei Meter, oder?" fragte Toto, als wir im Wohnzimmer standen.
"Das sind bestimmt drei Meter", meinte ich. "Der Türstock ist zwei Meter hoch, und wenn wir dann noch einen draufsetzen, sind das auch drei Meter."
Toto, der hier im Hochparterre seit über zwanzig Jahren sein eigenes Reich hat, zahlt im Monat dreihundert Euro Miete an seine Mutter.
Die Wohnung ist noch immer überwiegend in hellem Holz eingerichtet. Es gibt einige neue Regale. Das Wohnzimmer hat eine Wandverkleidung bekommen, die der W.E-Fan-Wand in Rafas Kellerraum ähnelt. Die Wände sind tapeziert mit Plattencovern zahlreicher Bands, meistens Rockbands und Death Metal Bands.
"Einige von denen sind schon sehr wertvolle Sammlerstücke", erzählte Toto.
Ich erzählte von meiner Leidenschaft für Industrialmusik.
"Du mußt dir mal richtig harte Musik anhören", meinte Toto. "Ich habe so harte Musik, härter geht es gar nicht mehr."
"So wie Napalm Death?"
"Nein, noch härter."
Er spielte mir einige Stücke vor und machte dafür die Wohnungstür zu.
"Jetzt müssen wir aber bald wieder 'runter", meinte ich nach einer Weile, "Rafa dreht sonst durch. Der dreht zwar nicht laut durch, aber im Stillen dreht der durch. Der ist auch schon letztes Mal durchgedreht vor Eifersucht, als ich mit dir damals die Fossiliensammlung angeguckt habe."
Als Toto und ich wieder in den Keller kamen, sagte Rafa:
"Ach, Hetty - ich dachte, du wärst schon weg! Bist ja nun doch nicht weg. Ja, ich dachte, du wärst schon weg. Los, du mußt noch spielen!"
Rafa ging mit mit in der Kellerraum und rief den Leuten auf dem Sofa zu:
"Los, macht Platz für Hetty! Hetty muß noch Titel raten!"
Er setzte sich mit mir auf das Sofa, so dicht neben mich, daß wir uns berührten. Ich bekam von Rafa Kopfhörer aufgesetzt. Er spielte mir fünf Titel vor, drei davon konnte ich erraten.
Rafas Toilette befindet sich nahe der Haustür, sie ist innen zum Teil mit Brettern verkleidet und war ordentlich gereinigt, wie ich es noch von früher kenne. Während ich dort war, hörte ich auf einmal Rafa laut durchs Haus rufen:
"Heettyyy! Heettyyy!"
Er rief und rief, es dröhnte und hallte von den Mauern wider. Als ich zurück in den Kellerraum kam, hatte Rafa sich augenblicklich beruhigt und verhielt sich, als sei nichts Besonderes gewesen.
Ivco rauchte eine Zigarette und hustete.
"Was, Ivco mit Zigarette?" fragte einer der Gäste, der ihn schon lange kannte. "Das gab's doch noch nie. Der raucht nicht, der trinkt nicht, und jetzt mit Zigarette? Wie geht denn das?"
"Ach, das ist eine Situation, da muß ich einfach mal eine rauchen", entgegnete Ivco. "Acht Jahre lang habe ich keine mehr angefaßt, ich bin eh kein Raucher."
Den Abschluß des "Decathlons" bildete das Karaoke-Singen. In dem Kellerraum hingen rechts neben der Tür drei Karaoke-CD's untereinander. Aus den Titeln mußte man sich einen aussuchen und bekam das Textheft in die Hand. Rafa gab dem Sänger ein Mikrophon. Das Publikum saß auf dem Sofa und den vorhandenen Stühlen. Anwar moderierte und gab den Entertainer. Das Publikum sollte jeden Sänger bewerten und die Punktzahl auf den Spielzettel schreiben, nur sich selbst durfte man nicht bewerten.
"Wenn etwas nur sch... ist, dann schreibt ihr '0'", erklärte Rafa, "und '10' heißt 'besser geht's gar nicht mehr'."
Darienne mühte sich ab mit "San Francisco" von Scott McKenzie und wirkte so unsicher, daß Rafa den Text teilweise mitsang. Lani kämpfte sich durch "Killing me softly" von Lauryn Hill, es klang schief und krumm. Veljan quälte sich durch "Like a virgin" von Madonna. Herausragend fand ich Tyra, die "Torn" von Natalie Embruglia sicher, ausdrucksstark und mit klangvoller Stimme darbot. Als sie am Ende den Faden verlor, glich sie das aus durch Improvisation. Sie erfand einfach ihren eigenen Text:
"Laßt mir hier 'raus ... ich kann den Text nicht mehr ..."
Ihr humorvoller und kunstvoller Beitrag fand lebhaften Applaus.
"Sie kann ihr Talent bei W.E gar nicht zeigen", dachte ich. "Rafa reduziert sie auf eine Statistenrolle, da kann sie sich gar nicht verwirklichen."
Rafa mußte auch singen, obwohl er nicht mitspielte. Er sang mehrere Stücke, auch im Duett mit Anwar.
Bemerkenswert fand ich, daß Toto sich traute, beim Karaoke-Singen mitzumachen. Er nahm nicht an allen Spielen teil und fiel deshalb aus der Gesamtwertung. Toto suchte einen Rocksong aus und sang davon nur einen Vers und a capella. Er brachte das Stück zwar nicht gefühlsbetont und extravertiert, doch finde ich, daß er Talent hat.
Als ich an der Reihe war, rief Anwar mich auf mit den Worten:
"So, und jetzt unsere Electric Betty oder Electronic Betty oder Puppet. Ihren richtigen Namen kennt kaum einer."
Als ich dabei war, einen Musiktitel auszusuchen, riefen mehrere Jungs:
"'Like a virgin'! 'Like a virgin'!"
Ich suchte "Video killed the radio star" von den Buggles aus, eines meiner Lieblingslieder. Ich hatte es schon so oft gehört, daß es mir leicht fiel, es vom Textblatt herunterzusingen. Weil ich singen kann, fiel es mir auch leicht, laut und ausdrucksvoll zu singen. Die Bewegungen und die Mimik folgten automatisch; das liegt wohl nicht zuletzt daran, daß ich auf der Tanzfläche immer Musik in Bewegungen umsetze. Rafa hielt eine Kamera unablässig auf mich und rief immer wieder:
"Super! Super! Spitze! Spitze! Klasse! Großartig! Glänzend!"
Auch die Übrigen wirkten recht angetan.
Nach den Karaoke-Vorträgen sagte Rafa:
"Los - jetzt alle Stimmzettel abgeben! Alle Stimmzettel abgeben! Jetzt alle Stimmzettel abgeben!"
Toto verabschiedete sich und ging schlafen.
Rafa hatte alle Karaoke-Vorträge mitgeschnitten und spielte nun die Mitschnitte immer wieder ab.
"Ihr kriegt das alle auf CD gebrannt", kündigte Rafa an, der sich zwischen Darienne und Lani auf den kürzeren Sofaabschnitt über Eck gesetzt hatte.
"Wie schön, Rafa, daß du mir das auch auf CD brennst", sagte ich, auf dem längeren Sofaabschnitt sitzend, und lächelte ihn an, indem ich mir die Mundwinkel hochzog.
"Nein, dir brenne ich das nicht!" wehrte er ab. "Du stellst das ja sowieso nur ins Internet."
"Ja, natürlich."
"Echt, die stellt mein Privatleben ins Internet."
"Ja."
"Echt, daß du da mein Privatleben ins Internet stellst, das ist sowas von ent-täuschend."
"Ich habe dich noch nie enttäuscht."
"Du hast mich nur enttäuscht", gab Rafa zurück. "Wenn Frauen mich enttäuschen können auf einer Skala von eins bis zehn, dann liegst du aber mindestens bei fünfzig. Mindestens!"
"Ich werde dich nie enttäuschen."
"Ha, du kannst mich auch gar nicht enttäuschen! Denn du hast mich schon enttäuscht."
"Ich habe dich nie enttäuscht, und ich enttäusche dich auch nicht. Mein Leben ist mir genauso wichtig wie deins."
"Deins ist mir aber nicht wichtig. Deshalb kann mir das egal sein."
"Deins ist mir aber wichtig. Deshalb will ich dir ja auch das Rauchen abgewöhnen."
"Phh! Wie?" stutzte Rafa und betrachtete die Zigarette in seiner Hand.
"Ja, weil ich will, daß du noch möglichst lange auf dieser Erde bleibst", erklärte ich, "weil ich nämlich mit deinem Tod nicht klarkommen würde."
"Weghören!" sagte Rafa zu den Mädchen, die ihn umrahmten. "Weghören! Weghören!"
"O.k.", antworteten die Mädchen folgsam, "wir hören weg."
Rafa saß lange zwischen den jungen Mädchen, lange redete er auf Darienne ein, die andächtig lauschte und selbst fast nichts sagte.
"Ich habe letzte Woche so viele Pussis ausgesteckt, das gibt's gar nicht", prahlte Rafa. "Sex ist echt was Geiles ... sich den Schwanz ablecken lassen und auf die Titten springen."
Ich mußte lachen. Rafas Tonfall erinnerte mich an Teenager, die in der Schulumkleide vergleichen, wer "den Größten" hat.
Darienne lachte nicht, sie sagte nur mit ausdrucksloser Miene:
"Ja."
Rafa setzte sich öfters wie zufällig neben mich, so daß wir uns berührten.
"Sag' mal, was trinkst'n' du da?" fragte er mich. "Das ist ein Geburtstag, Mensch, das ist ein Geburtstag!"
"Ich habe schon drei Gläser Feuerzangenbowle weg."
"Ach nee, das ist doch gar nichts, da ist doch nur Cola drin! Das ist doch nichts! So ..."
"Wie wär's damit?" fragte ich und griff nach einer Flasche Wodka Black Sun, um mir etwas davon ins Glas zu gießen.
"Nein, so muß das gehen", widersprach Rafa.
Er hielt mir die geöffnete Flasche hin. Weil nicht mehr viel darin war, trank ich die Flasche leer.
"Das ist schon besser", meinte Rafa. "Das ist schon viel besser."
Einmal kniete Rafa neben mir auf einem Hocker, und ich konnte bequem seine Beine umgreifen. Er schien es darauf anzulegen, schien meine Nähe zu suchen, doch er hätte sich wohl lieber umgebracht, anstatt etwas Derartiges zuzugeben.
Gegen halb fünf dirigierte Rafa:
"Los, alle hinsetzen, Preisverleihung! Los, los, alle hinsetzen!"
Dolf war schon fort, Toto war zu Bett gegangen, neun Leute waren außer Rafa noch übrig. Rafa teilte die Ergebnisse mit - übrigens waren in der Flasche 101 Murmeln gewesen - und nannte die Plazierungen von Rang 9 an. Jeder bekam einen Preis. Rang 9 belegte Lani. Rang 7 belegte ich; Rafa sagte dazu:
"So, und auf Platz 7 unser Überraschungsgast: Hetty aus H. Also, damit hätte ich ja überhaupt nicht gerechnet. Echt, wenn ich heute früh aufgewacht wäre, und mein Kopf wäre am Teddy festgenäht gewesen, ich hätte mich weniger gewundert."
Ich bekam einen winzigen Flipperkasten im Sailor-Moon-Dekor. In diesem Geduldsspielchen werden drei Silberkugeln durch ein Labyrinth geschossen.
Für Darius - auf Platz 4 - hatte Rafa noch keinen Preis zurechtgelegt. Er sagte mit suchendem Blick:
"Er kriegt ... er kriegt ... Moment mal ..."
Rafa kniete sich auf das Sofa und kramte auf der Fensterbank des Kellerfensters herum, bis er einen Preis für Darius entdeckte, einen silbernen Teelicht-Halter. Rafa geriet - wieder einmal - so dicht an mich heran, daß er mich berührte.
Auf dem Tisch fand Rafa ein Teelicht, damit war der Preis für Darien fertig.
"Hier, dieser verchromte Teelicht-Halter", sagte Rafa und überreichte den Preis.
Sieger war Anwar, er bekam zwanzig Euro.
Während der Preisverleihung verlangten Rafa und Anwar mehrfach, daß die Partygäste eine "La Ola"-Welle machten. Bei solchen Aktionen mache ich nicht mit; sie erinnern mich an den "B-B ... B-B ..."-Sprechchor aus "1984", mit dem Ergebenheit und Unterwürfigkeit demonstriert wird.
Als jeder seinen Preis bekommen hatte, setzte Rafa sich über Eck zu mir, so daß unsere Körper sich berührten.
"Du spielst immer mit deinen Nachbarn", bemerkte Rafa.
"Mit meinem Nachbarn", berichtigte ich. "Das ist nur einer."
Zwischendurch, unvermittelt, ließ Rafa seine Hose herunter und streckte mir sein bloßes Hinterteil entgegen.
"Schön", sagte ich.
Rafa verhüllte sich wieder, drehte sich um und sagte mit leiser Entrüstung, als hätte ich etwas Wichtiges nicht ausreichend gewürdigt:
"Ich habe dir meinen Hintern gezeigt."
"O.k., den Rest kann ich dir auch noch selber ausziehen."
Das wollte Rafa anscheinend nicht; ohne weiteren Kommentar entfernte er sich.
Einmal setzte Rafa sich neben mich aufs Sofa, sehr dicht, und sagte zu mir:
"So, wir sind jetzt ganz ruhig, nicht wahr? Wir sind jetzt ganz ruhig sind wir, ganz ruhig, nicht? Also, es gibt gar keinen Grund, sich aufzuregen, und wir sind ganz ruhig, nicht?"
"Ja", sagte ich, "wir sind ganz ruhig, alles klar."
Vielleicht fiel Rafa nichts ein, was er zu mir hätte sagen können, und er sagte einfach, was ihm gerade durch den Kopf ging und womit er sich selbst beruhigen wollte.
Rafa spielte Coverversionen ab, die mit dem C64 erstellt waren. Wir saßen um den Fernseher versammelt und sangen die Tracks mit. Bei einigen Stücken wurde der Text eingeblendet.
Als aus "What is love" von Howard Jones die Zeile "Does anybody love anybody anyway?" gesungen wurde, rief ich:
"Natürlich! Klar!"
Gegen halb sechs bestimmte Rafa:
"So, jetzt wird es langsam Zeit, daß wir die Party auflösen."
Er verteilte Taxigeld und organisierte Fahrgemeinschaften.
"Also, nach Hause fahren kann ich nicht, ich bin ja jetzt besoffen", sagte ich zu Rafa.
"Wie?" fragte er und tat so, als hätte es unsere Gespräche über dieses Thema nicht gegeben.
"Du hast ja gesagt, das kriegen wir schon hin", erinnerte ich ihn daran. "Ich habe dir gesagt, daß ich was trinke, und ich habe gemeint, du kannst mich ja in die Besenkammer sperren. Und da hast du gemeint, das kriegen wir hin."
"Ich habe gar nichts gesagt!" log Rafa. "Ich habe überhaupt nichts gesagt!"
"Oh ja, du hast gesagt, das kriegen wir hin."
"Nein, das habe ich niemals gesagt!" log Rafa. "Ich habe nichts gesagt!"
"Also, bei mir sind auf jeden Fall noch freie Betten", sagte Ivco von der Tür her.
"Das ist gut!" freute sich Rafa. "Da kannst du gleich ... Hetty mitnehmen. Bei mir kann nämlich keiner schlafen, absolut keiner. Nur Anwar, du bleibst noch da, wir trinken noch ein Bier hinterher."
"Du, das ist halb sechs", wandte Anwar ein.
"Egal!" bestimmte Rafa. "Komm', dafür reicht's noch. Die Zeit haben wir noch."
Ich stand vom Sofa auf und ging um den Fernseher herum, wo Rafa stand.
"Jetzt sollten wir wohl mal langsam gehen", sagte Ivco zu mir.
Ich ging von vorn auf Rafa zu und schloß meine Arme um ihn. Recht lange stand ich so und drückte ihn an mich, und er wehrte mich nicht ab.
"Na ja, dann dauert es eben noch ein paar Jahre, bis wir endlich heiraten können und Kinder haben können", sagte ich und ließ ihn wieder los.
"Dafür mußt du erstmal die Geschichte aus dem Internet tun!" rief er und ging ein Stück um mich herum. "Ja, du löschst jetzt endlich die Geschichte aus dem Internet."
"Das kann ich nicht."
"Doch, da gibt es einen Knopf, da steht drauf 'Delete'."
"Das lösche ich aber nicht, das ist zu wichtig. Am besten wäre es, wir würden die Geschichte gemeinsam weiterschreiben."
"Du schmeißt die 'raus, ne? Ist o.k., du schmeißt die 'raus, ist klar, ne? Ham wir uns verstanden? Du schmeißt die 'raus, alles klar."
"Die Geschichte bleibt drin, und wir schreiben die gemeinsam weiter."
"Ich sage - einen Monat hast du Zeit, und dann haue ich dir in die Fresse."
"Dann hau' mir in die Fresse", sagte ich freundlich. "Die Geschichte kann ich nicht 'raustun aus dem Internet."
"Das ist egal!" fiel Rafa mir ins Wort. "Das ist alles egal!"
"Das geht nicht, die ist zu wichtig."
"Doch! Du tust die 'raus! Natürlich tust du die 'raus! Jawohl tust du die 'raus! Einen Monat! Einen Monat geb' ich dir! Und dann haue ich dir in die Fresse."
"Dann hau' mir in die Fresse. Hast du die Geschichte denn überhaupt schon gelesen?"
"Ja."
"Wie lange hast du denn dafür gebraucht?" fragte ich lauernd.
"Zu lange", wich Rafa aus.
"Wie lange denn?" fragte ich nach.
"Zu lange", wich Rafa wiederum aus. "Tu's aus dem Netz, tu's 'raus, das ist auch besser für deine Kinder."
"Wenn, dann unsere Kinder."
"Tust mein Privatleben ins Internet ...", schüttelte Rafa entrüstet den Kopf.
Ich kam in Mantel und Schal noch einmal in den Kellerraum und sagte zu Rafa, der mit Tyra und anderen Leuten auf dem Sofa saß:
"Ich habe ja auch noch ein Geschenk für dich, das ist aber noch im Auto. Wie kann ich dir das geben?"
"Ja, ein Geschenk kannst du mir geben", erwiderte Rafa. "Du drückst so eine Taste, die heißt 'Delete'. Tu' die Geschichte aus dem Internet. Das wäre das beste Geschenk. Dann kannst du mir auch dein Geschenk geben."
"Die Geschichte tu' ich nicht aus dem Internet", sagte ich ruhig und unbeirrt. "Die ist zu wichtig, das kann ich nicht."
"Ja, dann nimm dein Geschenk auch wieder mit", sagte Rafa. "Dann nimm's auch wieder mit. Wenn du mich sowieso schon am A... lecken kannst, kannst du mich dann noch mehr am A... lecken!"
Ich war froh, daß mein Geschenk für Rafa mit den Jahren im Wert steigt, anstatt an Wert zu verlieren. Es ist ein Kunstwerk, ein avantgardistischer Kerzenleuchter aus Eisen, den ich seit acht Jahren horte, um ihn Rafa zu schenken, wenn er sich dessen als würdig erweist. Bislang ist dies nicht der Fall, und wohlweislich hatte ich den Leuchter im Kofferraum gelassen, als ich zu Rafas Geburtstagsfeier ging.
"Wenn du die Geschichte genau lesen würdest, dann ...", sagte ich und wurde von Rafa unterbrochen:
"Das will ich gar nicht wissen, das interessiert mich nicht! Das will ich nicht wissen!"
"Rafa, wenn du die Geschichte genau lesen würdest, wirklich Wort für Wort, dann ..."
"Nein, das will ich nicht wissen!" krakeelte Rafa. "Nein! Das will ich nicht wissen!"
"Rafa, wenn du die Geschichte wirklich genau lesen würdest ..."
"Nein, das will ich nicht wissen! Das will ich überhaupt nicht wissen!"
"Los, komm', laß uns gehen", sagte Ivco.
Wir marschierten von dannen.
Ivco wohnt nicht weit von Rafa, so daß wir bequem zu Fuß dorthin kamen. Das Haus, in dem Rafa wohnt, befindet sich in einem älteren Teil von SHG.; nicht in der eigentlichen Altstadt mit Gebäuden aus der Weserrenaissance, sondern in einem Stadtteil, der ab dem neunzehnten Jahrhundert bebaut wurde. Ivco lebt in einem Wohngebiet mit Einfamilienhäusern, das es erst seit den siebziger Jahren gibt. Mit seiner Familie bewohnt er einen Anbau seines Elternhauses. Alles ist gepflegt, großzügig und modern und bildet einen Gegensatz zu dem muffigen, bröckeligen Keller, in dem Rafa sich eingerichtet hat.
Carole war noch da, als Ivco und ich hereinkamen. Sie wollte gleich los zur Arbeit.
Ivco bewirtete mich mit Cola und machte mir im Gästezimmer ein Bett zurecht. Kaum lag ich darin, schlief ich auch schon.

Im Traum begegnete mir Rafa auf einer Party. Er spielte einen Fleischerhund - grimmig und aggressiv.

Ivco und ich wachten beide gegen zehn Uhr auf. Er holte Brötchen und machte in der Küche Frühstück. Die Küche hat einen Tresen und Barhocker zum Frühstücken, was ich sehr gemütlich finde.
"Ich habe geträumt, Rafa hätte auf einer Party einen Fleischerhund gespielt", erzählte ich, "einen großen, wilden, aggressiven Fleischerhund. Und als ich aufwachte, wußte ich im ersten Moment nicht, ob das Traum oder Wirklichkeit war, ob Rafa wirklich auf der Party einen Fleischerhund gespielt hat. Rafa ist ja auch ganz schön aggressiv gegen mich geworden. Der war ganz schön aggressiv."
"Verbal aber", sagte Ivco.
"Ja, verbal", bestätigte ich. "Rafa war verbal gegen mich sehr aggressiv."
"Er konnte es wohl überhaupt nicht länger ertragen, dich im Haus zu haben."
"Es ist eben so, daß ihn meine Anwesenheit emotional sehr anstrengt."
"Das kann vielleicht ein Grund dafür sein, daß Rafa deine Geschichte so negativ interpretiert", vermutete Ivco, "eben daß er dich ohnehin negativ interpretiert und dann die Geschichte mit negativ interpretiert und damit nichts zu tun haben will. Wenn aber auch jemand immer unangenehme Dinge sagt und immer den Finger in Wunden legt, das ist für ihn natürlich unangenehm."
"Ja, das ist Konfrontation mit Wahrheiten. Ich glaube, Rafa sitzt auf einem riesengroßen Berg voller unerledigter Dinge. Und die möchte er gerne wegschieben. Seine berufliche Situation wird ja zunehmend ernst, weil er immer noch keine sichere Lebensgrundlage hat. Es genügt eben nicht, nur Selbststudium zu machen. Man braucht Zertifikate, und die hat Rafa nicht erworben."
So ähnlich hat es der Kursleiter in dem Selbsterfahrungs-Pflichtkurs in KI. formuliert:
"Wenn man die gesellschaftlichen Hausaufgaben gemacht hat, hat man mehr Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten."
Ich fuhr fort:
"Eigentlich wäre gleich nach Rafas Ausstieg aus dem Malerberuf eine Umschulung dran gewesen, um seine Existenz abzusichern. So weit hat er nicht gedacht. Er wirkt auch nicht erwachsen auf mich, sondern eher wie ein großer Schuljunge, ein großer Teenager. Natürlich, er hat jetzt sein Reich auf den Keller ausgedehnt. Aber es ist dennoch kein eigenständiges Leben."
"Habe ich mich da nicht auch zurückentwickelt?" fragte Ivco. "Ich meine, weil ich jetzt wieder in dem Haus meiner Mutter lebe."
"Den Eindruck habe ich nicht. Erstens bewohnst du mit deiner Familie eine abgeschlossene Wohneinheit, und zweitens strukturierst du dein Leben eigenständig. Du übernimmst Verantwortung, du verdienst dein Geld selber, du ernährst deine Familie selber. Dich erlebe ich wirklich als erwachsen."
Ivco meinte, Rafa störe vielleicht an "Im Netz" auch, daß in der Geschichte seine Band nicht übermäßig gut wegkomme.
"Das hat Rafa bislang so noch nicht zu mir gesagt", erzählte ich. "Aber was er immer wieder gesagt hat, war, daß es ihn stört, daß sein Privatleben ins Internet gestellt wurde. Und was er einmal auch gesagt hat, war, daß es ihn stört, daß ich es war, die es geschrieben hat. Er hat gesagt, wenn's irgendwer gewesen wäre, dann hätte es ihn nicht weiter gekümmert, aber daß ich es gewesen wäre, jemand, den er irgendwie irgendwo irgendwie schätzen würde, das würde ihn so fassungslos und wütend machen."
Ivco war verwundert.
"Das kommt mir schon seltsam vor", sagte er, "daß er das als Begründung nennt."
Ivco erzählte, daß er die Geschichte von dem Tod von Rafas Vater selber so genau noch nicht kannte, wie ich sie in "Im Netz" beschrieben habe.
"Jedenfalls ... ich hatte den Eindruck, daß es Rafa gar nicht unlieb gewesen ist, daß du da warst", meinte er.
"Das wäre ja schön."
"Er hat auf keinen Fall mit deinem Kommen gerechnet - ich ja auch nicht", erzählte Ivco. "Was Rafa mit Sicherheit gefallen hat, war, daß du dich auf der Party sehr eingebracht hast und auch wirklich mit Freude alles mitgespielt hast. Rafa kann es gar nicht leiden, wenn jemand die Stimmung verdirbt und sich nicht beteiligt."
"Daß Rafa sich so viel Mühe gegeben hat, ist für mich ein Zeichen einer großen Liebesfähigkeit, die er hat", meinte ich, "und die er da zeigt. Das honoriere ich sehr. Ich denke, wenn Rafa Kinder hätte, dann würde er so liebevoll mit denen spielen und sich so phantasievoll für die Spiele ausdenken."
"Das kann ich mir von ihm auch vorstellen."
"Rafa zieht sich sehr zurück in sein Inneres und gibt seine Emotionen nicht preis. Das kann man auch an seinen Liedtexten sehen. Und ich wecke seine Emotionen immer wieder auf, und das möchte er unter allen Umständen vermeiden."
"Das ist wohl was dran", meinte Ivco. "Ich muß von mir selber wirklich sagen, daß ich Rafa kaum kenne. Eigentlich kenne ich ihn schon ewig lange, aber im Grunde hat Rafa sich mir nie wirklich offenbart. Zu Dolf habe ich einen viel näheren Kontakt gekriegt als zu Rafa. Mit Rafa, das ist eher nur so Party machen, oberflächlich ... Wochenendplanung und so weiter. Früher war das einfach so: Ich hatte das Auto und habe die Leute kutschiert, und man hat sich verabredet und dasselbe Ziel gehabt. Es war auch klar, daß ich fahre, weil ich nie etwas getrunken habe. Als Student habe ich sowieso auf den Pfennig geachtet, und das Bier war teuer. Rafa hat aber richtig abgefeiert, regelmäßig.
Differenzen hat es selten gegeben. Meistens waren wir uns einig. Nur manchmal beim Aufbrechen ... da hat es einmal eine Situation gegeben, wo Rafa und ich uns regelrecht angeschrien haben, weil wir überhaupt nicht einig waren, ob man noch bleibt oder schon fährt. Und ich als Fahrer war natürlich in der Position desjenigen, der die Kontrolle über das Steuer behalten mußte und nicht am Steuer einschlafen durfte. Zwischen Rafa und mir hat es eine fürchterliche Auseinandersetzung gegeben, so daß Carole schon dachte:
'Oh, das war's nun aber wohl. Die reden nie wieder ein Wort miteinander.'
Aber schon eine Woche später war für Rafa die Sache vollkommen vergessen, und er fragte mich nur:
'Was machen wir jetzt?'"
"Das paßt zu Rafa, daß er seinen Groll nicht aufrechterhält", meinte ich. "Natürlich ... oberflächlich war das nur eine Party-Fahrgemeinschaft. Aber ich denke schon, daß noch ein bißchen mehr dahintersteckt, nur daß Rafa halt die Emotionen nicht hochkommen läßt und die Leute nicht an sich heranläßt. Daß Rafa allgemein die Leute nicht an sich heranläßt, erkennt man auch daran, daß in seinen Texten immer wieder von Einsamkeit die Rede ist. Das zieht sich wie ein roter Faden durch alle seine Texte."
Ivco fragte mich, wie ich Rafas Liebesfähigkeit beurteilen wollte.
"Im Grunde kann man so etwas nicht beweisen", meinte ich, "es sind die Erfahrungen, die man macht, und es hat etwas mit dem Glauben zu tun. Es ist ähnlich wie mit der Religion - man kann es glauben, aber nicht wissen."
"Stimmt, das haben Liebe und Religion gemeinsam."
"Bei dir zum Beispiel bin ich mir sicher, daß du mindestens deine Tochter absolut liebst ... wahrscheinlich auch noch andere Personen, aber mindestens die."
"Ja, das ist schon so. Aber woran merkt man das denn?"
"Das fühlt man. Es gibt keinen objektiven Beweis dafür."
"An deine Schwester hast du aber auch eine ganz enge Bindung", meinte Ivco.
"Eine ganz enge Bindung", bestätigte ich.
"Ich bin übrigens echt froh gewesen, die im 'Mute' zu treffen", erzählte Ivco. "Das ist interessant, daß Dina und Denise fast gleich alt sind. Ich fand es echt toll, daß Constri sich weiter mit mir unterhalten hat, als Dive schon angefangen hat, zu spielen. So tolle Musik ist da schon gelaufen, und Constri hat das Gespräch mit mir so gut gefunden, daß sie sich noch länger mit mir unterhalten hat."
"Ja, sie fand das Gespräch wirklich sehr gut und sehr wichtig."
Während unseres Frühstücks kamen zwei schwarzgekleidete Frauen auf das Haus zu.
"Zu denen muß ich kurz hingehen", sagte Ivco und stand auf. "Das sind zwei Tanten von mir, die haben gestern ihre Enkelin beerdigt."
Die Enkelin wurde nur neunzehn Jahre alt. Sie hatte sich nach einer Blinddarmoperation vorzeitig gegen ärztlichen Rat entlassen lassen und ihre Anti-Thrombose-Spritzen nicht mehr erhalten. So geschah das Unglück, eine Thrombose bildete sich und führte zu einer Lungenembolie, an der das Mädchen starb.
"Im Grunde war es eine Schlampigkeit, die zu ihrem Tod führte", meinte Ivco, "an der sie letztlich selber mit dran schuld war ... eine Tragödie, wenn man bedenkt, daß das Kind als Frühchen zur Welt kam und man so viel unternehmen mußte, um es überhaupt durchzukriegen."
"Das ist wahrhaftig eine Tragödie."
"Als ich Rafa davon erzählt habe, hat er gesagt:
'Wenn der Sensenmann kommt, dann kommt er. Da kann man dies machen, da kann man das machen und noch so sehr auf sich achten - wenn der Sensenmann kommen soll, dann kommt er auch.'
Und irgendwo hat Rafa da wohl recht."
"Na, ganz aber so nicht. Denn er provoziert es ja auch durch das Rauchen. Ich habe mir ja Gedanken gemacht über den Tod von Rafas Vater, der auch so plötzlich aus dem Leben gegangen ist damals. Ich habe sowohl in der Hand von Rafa als auch in der Hand seines Bruders Zigaretten gesehen. Es könnte sein, daß der Vater der beiden ebenfalls Raucher war und daß er nun auf der Autobahn einen Herzinfarkt bekommen und daraufhin einen Unfall mit wirtschaftlichem Totalschaden gebaut hat, das Auto aber noch fahrfähig gewesen ist, er das Auto nach Hause gefahren hat ... es ist ihm sehr schlecht gegangen, er hat aber noch fahren können, hat das Auto abgestellt, sich aufs Sofa gelegt und ist gestorben. Das wäre eine naheliegende Möglichkeit. Und dann hat er durch das Rauchen seinen Tod provoziert. Das kann dann auch wirklich so plötzlich geschehen."
Ivco zeigte mir viele Fotos, auch von Rafas Auftritt im "Wegkreuz" im Februar 1993, seinem zweiten Konzert.
"Hinreißend", sagte ich. "Rafa sieht so süß aus, so niedlich. Es ist nicht einfach nur das Aussehen selber, sondern es ist die ganze Person, die ich so hinreißend und anziehend finde. Da stimmt einfach die Chemie."
Ivco erzählte, daß er Tessa wiedergesehen hat, vor zwei oder drei Jahren im "Zone". Sie habe verlebt und verbraucht gewirkt und über die Jahre gealtert, hohlwangig und eingefallen, wie ein Mensch, der lange Zeit harte Drogen und Alkohol zu sich genommen hat. Ihr Haar sei unsauber gefärbt und zottelig gewesen, und sie habe einen verschlissenen Ledermantel getragen.
"Tessa war schon immer labil", meinte ich. "Ich habe nicht viel anderes von ihr erwartet."
"Erst habe ich sie fast nicht wiedererkannt."
"Ich hätte sie so ganz sicher nicht wiedererkannt."
"Sie hat mich erst ganz abweisend angeguckt, kaum gegrüßt, kaum geredet. Da habe ich gesagt:
'Tessa, Tessa, ich bin's doch, Ivco, und du bist Tessa!'
Irgendwann hat sie endich reagiert, da hat ihr Gesicht gestrahlt, und wir haben uns eine halbe Stunde unterhalten. Ich kenne sie nämlich schon seit 1988. Und ihr fiel es so schwer, mich wiederzuerkennen. Sie war so abwesend."
"Wie unter irgendwelchen Drogen", vermutete ich.
"Ja, daran habe ich auch gedacht. Als sie mich dann erkannt hat, haben wir uns unterhalten und Witze gemacht und uns an früher erinnert. Danach haben wir auch nochmal miteinander telefoniert und uns einmal noch im 'Volvox' gesehen. Aber als ich sie dann wieder angerufen habe, um mich mit ihr zu verabreden, hat sie so abwesend, so lustlos, so apathisch gewirkt und so wenig interessiert, daß ich es aufgegeben habe."
Ivco erzählte, früher habe er etwas von Tessa gewollt. Sie habe doch immer so gut ausgesehen damals.
"Tessa war labil, und sie hatte ein sehr niedriges Selbstwertgefühl und sehr wenig Selbstbewußtsein", meinte ich.
"Das konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen", sagte Ivco, "daß gutaussehende Frauen nicht viel Selbstbewußtsein haben. Ich dachte, wer gut aussieht, der hat auch viel Selbstbewußtsein."
"Genauso ist es nicht. Das Aussehen und das Selbstbewußtsein haben nichts miteinander zu tun. Es gibt Frauen, die sehen wirklich nicht gut aus, haben aber ein sehr gesundes Selbstbewußtsein und eine liebenswerte Ausstrahlung."
"... und sind darum auch begehrt."
"Natürlich. Die wirken lebensfrisch und zugewandt und warmherzig, und die sind natürlich auch begehrt. Und dann gibt es Frauen, die sind wunderschön, haben aber überhaupt kein Selbstwertgefühl und kein Selbstbewußtsein und sind nur damit beschäftigt, zu intrigieren oder Leute gegeneinander auszuspielen, und die sind im Herzen einsam und kommen im Leben überhaupt nicht klar. Das gibt es genauso."
Ivco erzählte, daß Rafa und Berenice sich während ihrer Beziehung schlimm gestritten und angeschrien haben.
"Die Beziehung war von Anfang an kaputt", meinte ich.
"Dafür hat sie aber erstaunlich lang gehalten", meinte Ivco.
"Die Beziehung hat ja auch ihren Zweck beiderseitig lange erfüllt", deutete ich. "So mache Ehe hält auf dem Boden einer Zweckbeziehung Jahrzehnte. Rafa sucht sich doch immer nur Frauen aus, die er nicht liebt und mit denen er zweckgebundene Beziehungen hat."
Ivco war erstaunt, als ich sagte, daß Rafa eine schwere Selbstwertstörung hat. Er hat Rafa immer als selbstsicher und selbstbewußt erlebt. Ich erklärte, daß ein gestörtes Selbstwertgefühl sich darin äußern kann, daß jemand zu Unterwürfigkeit neigt, daß es sich aber auch darin äußern kann, daß jemand sich besonders selbstbewußt gibt und dahinter seine Unsicherheit versteckt. Manch einer bevorzugt selbstunsichere Frauen, die sich ihm unterordnen, um sich mächtiger zu fühlen. Damit würde bei Rafa und seinen Freundinnen dieselbe Störung vorliegen, nur mit gegensätzlicher Ausprägung.
Ich sagte zu Ivco, er könne Rafa gern zu meiner Geburtstagsparty mitbringen, sofern Rafa keine Freundin hat. Doch werde Rafa sich wahrscheinlich nicht hintrauen. Ivco bestätigte, Rafa werde sich wohl nicht trauen.
"Er ist ohnehin nicht mehr gut auf H. zu sprechen", setzte Ivco hinzu. "Er will da kaum noch hin. Immer wenn ich sage:
'Rafa, laß' uns doch mal nach H. fahren.'
- sagt Rafa:
'Oh nee, oh nee.'
Aber die 'Spieluhr', die 'Spieluhr' ... da ist er auch am 06.01. mitgewesen."
"Ivco, wenn Rafa mit in die 'Spieluhr' kommt, bitte sag' mir bescheid."
"Das nächste Date ist am 20.01."
"Noch eines", sagte ich, kurz bevor ich aufbrach, "Rafa möchte ja jetzt am liebsten, daß ich die ganze Geschichte aus dem Netz nehme. Das werde ich natürlich nicht tun. Aber mein Wunsch ist es, daß ich das erste Kapitel wieder in den Originalzustand zurückversetze. Nun kannst du ja mal versuchen, von Rafa herauszukriegen, ob es nicht ohnehin einerlei für ihn ist - da er ohnehin will, daß ich die ganze Geschichte 'rausschmeiße -, ob ich nun die Originalfassung von dem ersten Kapitel oder die veränderte Form im Netz habe."

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